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Zehn Lehren aus der Ukraine

Zehn Lehren aus der Ukraine

Die dramatischen Vorgänge in der Ukraine machen einige ganz überraschende Erkenntnisse deutlich. Diese haben die Welt wohl dauerhaft verändert.

Einige dieser Erkenntnisse:

  1. Hast du Atomwaffen, dann bist du was. Hast du keine (mehr), dann bist du ein armer Hund. Die Ukraine war in jenen Zeiten, da dort noch Atomwaffen aus sowjetischer Zeit gelagert waren, von aller Welt respektvoll und wie ein rohes Ei behandelt worden. Seit das Land jedoch keine Atomwaffen mehr besitzt, ist es unbedeutend geworden, und russische Soldaten marschieren nach Belieben ein.
  2. Österreichs Rolle ist international nur noch blamabel bis nicht vorhanden. Es gibt keinen einzigen merkbaren Akzent des Landes. Vergleichbare Länder – die Schweiz, Schweden, Tschechien – haben hingegen deutliche und klare Reaktionen gesetzt. Diese reichen von der Verlegung von Kampfflugzeugen ins Baltikum bis zur Absage von Veranstaltungen mit Russland. Österreich hingegen hat noch keine einzige klare Aussage getan. Der Außenminister scheint sich zu fürchten und zu warten, welcher Meinung er sein soll. Und der Bundespräsident scheint innerlich überhaupt an der Seite seines Kollegen Janukowitsch zu stehen. Neutralität ist jedenfalls kein Argument für das österreichische Verhalten. Die anderen beiden Neutralen können sich heute zweifellos besser in den Spiegel schauen.
  3. Es ist absolut richtig, den Dialog mit Moskau aufrechtzuerhalten. Es ist ja ein noch immer mit riesiger atomarer Macht ausgestattetes Land. Aber man muss dabei zugleich auch energisch klarmachen, dass man einen (nur lächerlich getarnten) Einmarsch in andere europäische Länder für eine Katastrophe hält, die Konsequenzen etwa für alle Akteure auch in Russland haben muss. Sowenig wie man („man“ sind die westlichen Demokratien, nicht Österreich) das 1980 in Afghanistan akzeptiert hat. Es ist freilich eine schwierige Aufgabe, Dialogbereitschaft mit Grundsatztreue zu verbinden. Da ist das Doppelspiel Bad Cop (USA) – Good Cop (Deutschland) vielleicht gar nicht so blöd. Zumindest solange die beiden westlichen Mächte intern harmonieren.
  4. Im Dialog mit Russland muss man jedenfalls weiterhin Lügen Lügen nennen. Alles andere wäre selbst verlogen.
  5. Das Selbstbestimmungsrecht auch von Provinzen und anderen Gebieten ist in Verbindung mit einem internationalisierten Minderheitenschutz die beste, vernünftigste, menschenwürdige und demokratische Methode zur Konfliktlösung. Das übergeordnete Grundprinzip ist aber: Gewaltausübung darf niemals zum Instrument werden, selbst um ein noch so richtiges Prinzip zu realisieren. Gewaltausübung ist sicher nicht legitim, solange die wichtigsten Menschenrechte im Wesentlichen gewahrt bleiben. Wann genau Gewalt freilich legitim wird, wann man einen Bellum iustum führen darf, ist abstrakt extrem schwierig zu definieren. Klar ist aber: In der Krim sind die Menschenrechte jedenfalls in keiner Weise verletzt worden. Dort mag halt eine Mehrheit nicht die neue Regierung. Und Moskau mag es halt nicht, an Einfluss zu verlieren. Der Einsatz der russischen Armee ist damit aber sicher noch nicht rechtfertigbar.
  6. Wenn man aber von der völlig unakzeptablen Gewaltausübung durch Russland absieht, hat erstaunlicherweise Machthaber Putin mit einem seiner Argumente prinzipiell durchaus recht: Wenn man im Kosovo dafür ist, dass sich eine Provinz gemäß den Wünschen von 90 Prozent der Einwohner abtrennt, dann muss das auch anderswo gelten. Richtig. Putin selbst hat allerdings dreierlei vergessen:
    • Erstens war er selbst im Kosovo vehement gegen dessen Loslösung von Serbien.
    • Zweitens haben die Serben zum Unterschied von der Ukraine dort ein terroristisches Regime etabliert, das über die Albaner geherrscht hat.
    • Und drittens übersieht Putin bei seinem Vergleich, dass auf der Krim der Anteil der Russen deutlich geringer ist als jener der Albaner im Kosovo.
  7. Insbesondere sind die 250.000 Krim-Tataren (ein mit den Türken verwandtes Volk) vehement gegen Russland, das sie ja unter Stalin strafweise kollektiv nach Sibirien verschickt hatte. Ich wäre nicht sehr überrascht, wenn jetzt die Tataren mit Guerilla-Methoden gegen die Russen kämpfen würden. Umgekehrt wäre es ein extrem weises Zeichen Russlands – pardon: der angeblich ganz spontan handelnden Krim-Mehrheit, wenn die Krim-Tataren jetzt besonders tolle und ausgefeilte Minderheitenrechte bekämen. Nur scheint solche Weisheit nicht sehr wahrscheinlich.
  8. Dennoch sollte unter friedlichen Rahmenbedingungen der mutmaßlichen Krim-Mehrheit das Selbstbestimmungsrecht zustehen, sofern es den erwähnten abgesicherten Minderheitenschutz gibt. Haftbefehle gegen Regionalgouverneure sind in der Ukraine genauso ein Unsinn wie in Spanien. Hätte Putin nicht mit seiner Armee gehandelt, bevor er auch nur ein einziges konkretes Argument vorgebracht hat (außer den üblichen Schimpfworten wie „Faschisten“), säße jetzt der Westen argumentativ in der Defensive. Denn im Westen beherrschen ja Länder wie Spanien oder Italien noch immer fremde Völker, die – mutmaßlich – gar nicht unter ihrer Regierung stehen wollen.
  9. Selbstbestimmung wäre auch in der Kurdenfrage der beste Weg, um einen schier ewigen Konflikt beizulegen. Aber dort ist sie noch besonders weit weg. Dennoch muss man es lobend anerkennen, dass in den letzten Jahren die Türkei den Kurden etwas mehr Freiheiten gewährt; dass jetzt sogar der türkische Außenminister öffentlich einen Satz auf Kurdisch gesagt hat. Das ist etwas, wofür man früher noch jahrelang ins Gefängnis geworfen worden ist. Auch in Sache der Kurden habe ich nur wenig Zweifel, dass am Ende irgendwann die Selbstbestimmung über die noch immer ein wenig osmanisch wirkenden Machtansprüche siegen wird. Aber auch dort wird wohl zuvor noch viel Blut sinnlos vergossen werden.
  10. Noch etwas sollte man sich auch in Österreich klarmachen. Am Ende hat in der Geschichte nämlich immer eines der beiden Prinzipien entschieden: das Mehrheitsprinzip oder der Kampf. Das ist nicht ganz ohne Relevanz, wenn Hochrechnungen zeigen, dass beim – sehr wahrscheinlichen – Anhalten der Dynamik der letzten 25 Jahre noch im Laufe dieses Jahrhunderts die Mehrheit hierzulande zum islamischen Glauben gehören wird. Dann wird man sich in die Zeiten geradezu zurücksehnen, da ein Landwirtschaftsminister offenbar keine anderen Sorgen hatte als die Kindesadoption durch Homosexuelle. Weil solche Orchideenthemen wird es dann mit Sicherheit nicht (mehr) geben.