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Corona: ein notwendiger Lockdown und fünfeinhalb fundamentale Fehler

Corona: ein notwendiger Lockdown und fünfeinhalb fundamentale Fehler

Ganz Österreich ist total entnervt von der Corona-Pandemie und dem neuerlichen Totallockdown, der noch strenger ausfällt als der erste ab März. Fast noch nervender sind aber auch die vielen Besserwisser, die jetzt mehr denn je von allen Balkonen herunterkeppeln. Jeder Österreicher kennt inzwischen weit mehr als einen, der genau weiß, dass alles viel zu scharf, zu unnötig sei und noch dazu immer völlig falsche Institutionen treffe. Aber jeder Österreicher kennt gleichzeitig auch genauso viele von der anderen Klugschwätzer-Fraktion, wo alle genau wissen, dass die Maßnahmen zu mild und zu spät dekretiert worden seien. Interessanterweise werden die fünf(einhalb) wirklich fundamentalen Schwachpunkte der österreichischen Strategie fast nirgendwo angesprochen (mit nachträglicher Ergänzung).

In einem sind sich beide Gruppen der Balkon-Muppets einig: nämlich, dass alles in der Corona viel zu spät kommuniziert und planlos sei. Diese Kritik ist natürlich richtig – zumindest wenn man davon ausgeht, dass die österreichische Regierung annähernd wissen hätte können, wie sich die Pandemie entwickelt und wie sie auf welche Maßnahmen anspricht. Wer das weiß, kann dann natürlich einen langfristigen Plan machen und diesen mit allen denkbaren Kommunikationsmitteln verkünden.

Blöd nur, dass die Regierung und ich offenbar die einzigen unter acht Millionen Österreichern sind, die nicht die Corona-Allwissenheit haben, die nicht wissen, wie das Virus auf jede Maßnahme reagiert. Und die Muppets verraten ihr Geheimwissen nicht.

Je mehr man sich als medizinischer Laie mit der Pandemie zu befassen versucht, umso mehr entdeckt man zum eigenen Erstaunen, dass auch die sogenannten Experten vor allem aus der medizinischen Welt total in die beiden eingangs geschilderten völlig konträren Lager zerfallen. Die einen sehen nur die katastrophale und von Tag zu Tag schlimmer werdende Lage in den Spitälern und Intensivstationen. Die anderen sehen hingegen nur die katastrophale und von Tag zu Tag schlimmer werdende Entwicklung in den anderen von der globalen Pandemie und den regelmäßigen Lockdowns betroffenen Bereichen (vor allem, wenn es der eigene ist ...): in Wirtschaft und Bildung, im größten Verschuldungsschub der Finanzgeschichte und in der tragischen Vereinsamung vieler Menschen, in der Einschränkung unserer so hart gegen die Obrigkeit erkämpften Grund- und Freiheitsrechte wie auch in den vielen wegen Corona unbehandelt bleibenden anderen Krankheiten. Die einen sehen global viele Menschen, die überflüssig sterben; die anderen sehen Schweden und Madrid, die auf allzu strenge Corona-Maßnahme verzichten, und wo erstaunlicherweise dennoch die angekündigte Katastrophe ausgeblieben ist.

Im Grund ist niemand zu einer umfassenden Zusammenschau und Bewertung aller bekannten Corona- und Lockdown-Folgen imstande – und erst recht nicht der vorerst unbekannten Folgen, die es zweifellos auch noch gibt. Da bleibt letztlich nur eines: Mit viel Skepsis im Magen die allwöchentlichen Beschlüsse der Regierung zu akzeptieren und schlicht zu hoffen, dass sie im Nebel den richtigen Weg findet und sich nicht (mit dem ganzen Land im Rucksack!) heillos versteigt.

Die Skepsis rührt auch daher, dass im Corona-zuständigen Ministerium sehr viel gepfuscht worden ist:

  • Siehe die teilweise juristisch schwer fehlerhaften Verordnungen, die auch der Verfassungsgerichtshof zerpflückt hat;
  • siehe das Datenchaos, das nach acht Monaten noch immer keine so einfache Aufgabe schafft wie die korrekte tägliche Addition der Zahl der österreichweit Infizierten, der Erkrankten, der ins Spital Eingelieferten, und der mit oder an dem Virus Verstorbenen;
  • siehe die völlig sinnlose Ampelschalterei, mit der Monate vertan worden sind, die man zweifellos besser verwenden hätte können. Die Ampeln hätten höchstens dann einen Sinn gehabt – und auch das nur vielleicht –, wenn man die totalitäre Brutalität aufgebracht hätte, zwei Monate lang nach chinesischem Muster besonders betroffene Bezirke komplett abzuriegeln. Was aber in Europa wohl zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen führen würde.
  • siehe die jetzige völlige Unklarheit, wo die Regierung neuerliches Chaos geschaffen hat, indem sie Treffen mit "Einzelpersonen" und mit der ganzen "Familie" völlig unklar durcheinandermischt, verbietet und doch nicht wirklich verbietet.

Aber zugleich sei ehrlicherweise hinzugefügt: Es gibt absolut kein Land der Welt, dass fehlerfrei agiert hätte. Und nichts von den zuvor genannten Fehlern ist entscheidend dafür gewesen, dass Österreich derzeit im internationalen Vergleich sehr schlecht dasteht.

Es gibt aber sehr wohl fünfeinhalb andere wichtige Themen, gravierende Fehler, wo die Regierung sich fundamentalen und kritischen Fragen stellen muss, die über das tägliche Besserwissermatch zwischen den Mannschaften "Zufrüh" und "Zuspät" hinausgehen:

  1. Einzig Vizekanzler Kogler hat darauf hingewiesen, dass sich ein gewaltiges Föderalismus-Problem zeigt. Denn das meiste im Corona-Kampf ist Ländersache (auch wenn nur die Bundesregierung so spektakuläre Presskonferenzen gibt). Das wirklich gravierend Versagen ist auf Landesebene passiert. Denn für all jene Maßnahmen, deren Erfolg einen zweiten Lockdown verhindert hätte, sind die Bundesländer zuständig. Also für
    • die rasche Erreichbarkeit des (ja landesspezifisch geschalteten und) fast ständig besetzten Krisentelefons 1450.
    • schnelle Tests bei all jenen, die einen Test brauchen oder aber auch einen wollen;
    • die rasche Durchführung der Tests;
    • die sofortige Kommunikation der Testergebnisse an Betroffene und Behörden (das hätte bei den PCR-Tests, auf die monatelang gesetzt worden ist, nicht länger als 24 Stunden ab Anruf beim Krisentelefon dauern dürfen – weil es ja bei Selbstzahlern auch in noch viel kürzerer Zeit geht –, und das ginge bei den neuen Antigen-Tests sogar in 15 Minuten);
    • eine nach Vorliegen eines positiven Tests sofortige Kontaktaufnahme mit allen auffindbaren Kontaktpersonen des Infizierten samt deren Testung und Quarantäne;
    • die Kontrolle der Einhaltung der Quarantäne;
    • und eine Ausrollung einer gezielten Informations- und Teststrategie in den nachweislich häufiger infizierten Migranten-Communities, die von Österreichs Politik und Medien viel schlechter erreicht werden.

In den meisten Bundesländern hat nichts davon gut funktioniert. Das kann ich vor allem für mein Heimat-Bundesland Wien an Hand ganz konkreter Fälle beweisen, die vom Sommer bis in die unmittelbare Gegenwart reichen: Immer wieder sind Wiener vor allem darüber entsetzt, dass die Information über ein positives Testergebnis – also über die Vorlage einer Infektion – zwischen 10 und 14 Tage gedauert hat. Diese Zeiträume machen jeden Versuch einer Eindämmung zur absoluten Sinnlosigkeit.
Dementsprechend war Wien auch monatelang das meistbetroffene Bundesland; erst in den letzten Wochen ist es wieder von den anderen Bundesländern im negativen Ranking überholt worden (allerdings noch nicht in der in Wien besonders schlimmen Belastungsintensität der Intensivstationen). Die Wiener Katastrophe wird dadurch verschlimmert, dass der Wiener Gesundheitsstadtrat Hacker zum Unterschied von anderen Ländern präpotent die Hilfe von Polizei und Bundesheer bei diesen Aufgaben abgelehnt hat.
Gleichzeitig hat das grün geleitete Gesundheitsministerium in jenen Monaten, wo Wien die schlimmsten Fallzahlen hat, totale Rücksicht darauf genommen, dass die Grünen ja in Wien bisher in der Landesregierung sitzen.

  1. Warum hat Österreich nie die slowakische Lösung versucht? Das Nachbarland hat alle Bürger durchgetestet und alle positiven Fälle streng isoliert. Auch wenn dort die Pandemie dadurch nicht ausgerottet ist, sind die slowakischen Zahlen doch deutlich besser als die österreichischen. Das Durchtesten wäre vor allem, seit es die neuen Antigen-Tests gibt, die binnen 15 Minuten zu deutlich niedrigeren Kosten ein zu 97 Prozent sicheres Resultat erbringen, ideal. Das sind zwar nicht 100 Prozent, das ist aber weit besser als der gesamtgesellschaftliche Blindflug. Und wer sich nicht testen lassen will, wird zu strenger Quarantäne verurteilt.
    Mit diesem Kraftaufwand hätte man die Seuche nicht ausgerottet, aber weit unter jene Intensität drücken können, wo die Spitäler an die Überforderungsgrenze geraten. Aber nicht nur die Slowakei, sondern auch noch 37 andere Länder haben pro einer Million Einwohner mehr Tests gemacht als Österreich.
  2. Warum hat man in den Schulen und Universitäten nicht gleichzeitig mit Beschluss der Schulschließung jetzt schon eine Verkürzung von Oster- und Sommerferien verordnet, damit Schüler und Studenten dann das meiste nachholen können, was im neuerlichen Lockdown unweigerlich zu kurz kommt? Diese Verkürzung hätte man ja auch nach Regionen gestaffelt vornehmen können, sodass sich der Schaden für den Tourismus in Grenzen hält (der in Österreich ja dominant hinter vielen Entscheidungen zu stehen scheint).
    Die gesamte Corona-Debatte hat leider immer nur einen Aspekt des Schulunterrichts im Auge und den zweiten vergessen. Auf der allgemein diskutierten Seite steht die Aufgabe der Aufbewahrung von Minderjährigen, damit Eltern arbeiten können, damit Eltern nicht überlastet werden. Hingegen wird der zweite Aspekt völlig ignoriert: Das ist das Bildungsdefizit, das auch bei einem inzwischen hoffentlich gut ausgebauten  Digitalunterricht unweigerlich entsteht.
    Es schmerzt gewaltig, wenn die gesamte Politik sich – offenbar aus Angst vor der Lehrergewerkschaft – nicht an dieses Thema heranwagt. Viele Lehrer sind ja ohnedies gegen ein Weitergehen des Unterrichts, weil sich viele selbst als Risikogruppe sehen. Daher hätte man jene Lehrer, die jetzt zwei Wochen daheimbleiben können, zu zwei Wochen im kommenden Sommer oder zu Ostern verpflichten können. Denkbar wäre aber auch – bitte nicht vom Sessel fallen! – die Wiedereinführung des Samstagunterrichts zumindest für ein Jahr, um das Versäumte nachzuholen.
  3. Die Regierung hat zwar völlig recht, dass sie in der Pandemie-Debatte immer auch auf die aktuellen Probleme der Unternehmen zu achten versucht. Sie handelt aber grob fahrlässig in Hinblick auf die finanziellen Lasten, die sie auf die Zukunft geladen hat. Gewiss muss man vielerorts beispringen und dafür Schulden aufnehmen. Aber auch in Zeiten wie diesen wäre das Prinzip Sparsamkeit für unsere Zukunft absolut lebenswichtig. Und das hat man schlicht vergessen. In früheren Regierungen war es sehr oft der Finanzminister, der gegen alle anderen auf die Sparsamkeit gepocht hat; bisweilen hat ihn auch ein Bundeskanzler dabei aus eigener Erkenntnis unterstützt. Heute gibt es niemanden mehr, der das tut.
    Sonst hätte es nicht populistische Pensionserhöhungen für einen Teil der Pensionisten weit über die Inflationsrate hinaus gegeben (obwohl Pensionisten jene Gruppe sind, die durch Corona den geringsten finanziellen Schaden erleidet). Sonst hätte nicht dort, wo Deutschland einzelnen Unternehmen 75 Prozent (des Vorjahresumsatzes) refundiert, Österreich ohne ersichtlichen Grund einfach "80 Prozent" gesagt. Und wer dazu sagt: "Das ist auch schon wurscht", der will Österreich auf jenen Weg  stoßen, auf dem Länder wie Italien seit Jahrzehnten bergab gleiten, wo auch immer kleinliches Sparen wurscht war.
  4. Ein katastrophales Versäumnis schlägt sich mehr denn je nieder: Österreich und Europa haben immer nur über Digitalisierung geredet, sie waren aber in keiner Weise imstande, ein internet-Handelsportal zu entwickeln, das so gut und effizient und kundenfreundlich funktioniert wie Amazon. Das seit Jahren von der Post entwickelte "shoepping.at" ist mehr bemitleidenswert als ernstzunehmen. Wer dort einzukaufen versucht, erledigt mehr als ein Jahresplansoll an Patriotismus.
    Und wer ist schuld an dieser Fehlentwicklung? Das ist der durch Österreich ständig wehende Ungeist der Sozialpartner: Gewerkschaft wie Wirtschaftskammer wollen immer nur die aktuellen Interessen ihrer Klientel bedienen. Das sind im Handel halt die traditionellen Geschäfte. Das Internet war für die Sozialpartner daher immer "der" Hauptfeind. Niemand hatte Interesse, dass sich auch in Österreich ein solcher Hauptfeind  entwickelt. Das und die hohen österreichischen Steuern haben daher dazu geführt, dass  erfolgreiche Internet-Portale fast nur im Ausland entstanden sind.
  5. Der sechste katastrophale Fehler zeichnet sich erst ab, aber das dafür wohl unweigerlich: Wenn ab 7. Dezember wirklich die Handelsgeschäfte öffnen dürfen, wird es – etwa ganz besonders am alljährlichen Einkaufshöhepunkt, dem Feiertag am 8. Dezember, – zu einer katastrophalen Massenansammlung in allen Einkaufszentren kommen, die alles an Menschenanhäufung bisher Dagewesene noch weit übertrifft. Es scheint die absolute Quadratur des Kreises, wie man einerseits solche neue Masseninfektionsherde vermeiden will, wie andererseits die Menschen ihre Weihnachtseinkäufe erledigen sollen, und wie  gleichzeitig vermieden werden kann, dass weitere Milliarden über Internetbestellungen an Amazon fließen.

Nachträgliche Ergänzung: Zehn Stunden nach Erscheinen dieses Tagebucheintrags kündigt Bundeskanzler Kurz genau das an, was im obenstehenden Punkt 2 gefordert worden ist: Massentests nach dem Muster der Slowakei. Es ist erfreulich, dass schon wieder eine Forderung, eine Anregung des Tagebuchs den Weg in die Verwirklichung gefunden hat (damit sei nicht beansprucht, dass Kurz einfach im Tagebuch abschreibt, was er tun soll - bei eingehender Analyse kann man auch unabhängig voneinander zu ähnlichen Ideen kommen). Das ist aber vor allem für Österreich erfreulich, weil es wirklich eine der sinnvollsten Strategien sein dürfte, auch wenn da sicher noch gewaltige organisatorische Hürden zu nehmen sind. Für Österreich ebenso erfreulich ist übrigens, dass Ungarns Ministerpräsident Orbán in einem Interview gleich mehrfach davon spricht, dass Ungarn genau das nachmacht, was die "Schwäger" in Österreich tun, worüber er sich auch immer wieder mit Sebastian Kurz austauscht.