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Nie wieder Krieg oder was

Nie wieder Krieg oder was

Wie sind die Menschen doch immer wieder schockiert, wenn irgendwo wieder ein neuer Krieg ausbricht. Dabei haben sie geglaubt, Kriege ein für allemal ausgerottet zu haben. Dabei hat es unzählige Demonstrationen "gegen den Krieg", dabei hat es viele internationale Konventionen gegeben, die Kriege verhindern sollten, die ein klares Gewaltverbot beschworen haben. Selbst in Europa ist es seit dem Weltkrieg schon zu zwei großen Kriegen gekommen. Warum nur? Es sind nicht nur Verbrecher wie die Putins und Milosevics dieser Welt an großem Blutvergießen schuld. Es hat auch die Staatengemeinschaft, es haben auch die rechtsstaatlichen Demokratien katastrophale Fehler begangen, derentwegen es auch künftig Kriege geben wird. Diese Fehler bestehen vor allem in einer dramatischen Unterlassung, aber auch in drei gutgemeinten, aber nicht ganz durchdachten und daher letztlich destabilisierenden Regelungen des Völkerrechts.

Der große dramatische Fehler ist ganz eindeutig die Absenz des wichtigsten Prinzips zur Schaffung friedlicher internationaler Beziehungen: Es fehlt das Selbstbestimmungsrecht als oberste Regel des Völkerrechts. Dabei könnte es die wichtigste Grundlage für einen echten Weltfrieden sein. Das Selbstbestimmungsrecht ist im Völkerrecht skurrilerweise nur für die Dekolonialisierung vorgesehen. Und seit es keine Kolonien mehr gibt, ist es totes Recht.

Dabei wäre das Selbstbestimmungsrecht auch eine völlig klare Konsequenz des Prinzips der Demokratie. Es ist ja eindeutig für die Menschen wichtiger, dass sie darüber bestimmen können, zu welchem Staat sie, ihr Land, ihre Region gehören sollen, als dass sie halt nur darüber bestimmen dürfen, welche Partei wie viele Mandate haben soll. Dass das Prinzip Demokratie so verkrüppelt ist, ist Menschen oft nicht zu erklären.

Dieses Prinzip als grundlegend anzuerkennen, wäre nicht nur Folge jedes wirklich demokratischen Systems, sondern auch des Respekts vor der menschlichen Würde. Solange es nicht anerkannt wird, wird es immer wieder Kriege und Bürgerkriege geben. Und zwar auch in Europa und zwar auch in unserer Nähe.

Immer wieder revoltieren die nach Freiheit strebenden Menschen dagegen, dass nicht ihr Wille, der Wille der Mehrheit über die staatliche Legitimität entscheidet, sondern irgendwann gezogene historische Grenzen oder die mit Gewalt hergestellte Herrschaft eines Volkes über ein anderes.

Auch die österreichische Außenpolitik begreift das nicht. In den Zeiten eines Alois Mock hat sie es hingegen noch verstanden. Damals hat sich Österreich noch mutig und anfangs einsam hinter das Selbstbestimmungsrecht der Kroaten und Slowenen gestellt, und damit deren Verlangen, eigene Staaten zu haben, was die Serben als Herrschaftsvolk nicht akzeptieren wollten. Jedoch  nach Mocks Abgang hat man im Fall Bosniens und des Kosovo dann auf dieses Prinzip vergessen, obwohl es ethisch richtig, stabilisierend und friedensfördernd wäre.

Das hat dazu geführt, dass diese beiden Staaten seit Jahrzehnten von der militärischen Sicherung durch den Westen abhängig sind. Dass sie weder intern noch extern eine gesicherte Position haben.

Diese beiden Staaten und der Großteil der Staatengemeinschaft ignorieren es, dass es in Bosnien wie im Kosovo eindeutig serbisch besiedelte Gebiete gibt, die keinesfalls Teil dieser von anderen Nationalitäten beherrschten Staaten sein wollen. Immer wieder begehren die Serben dagegen auf, was nur wegen der westlichen Truppenpräsenz nicht zu Kriegen führt.

Warum stellt sich die EU, die dort Friedensstifter sein will, die zu Recht das Verlangen der großen Bevölkerungsmehrheit nach Loslösung von dem serbisch dominierten Jugoslawien unterstützt hatte, so massiv dagegen, dass umgekehrt auch die Serben in jenen (kleinen) Teilen dieser beiden Staaten das Selbstbestimmungsrecht ausüben können? Warum lässt man es an relativ marginalen Fragen scheitern, dass der Raum Exjugoslawiens endlich wirklich zur Ruhe kommt? Dafür gibt es einen einzigen Grund: Man will aus völlig anderen Interessen einiger europäischer Länder nicht an den inneren Grenzen des einstigen Tito-Jugoslawiens rütteln, an dessen Einteilung in Republiken und autonome Provinzen.

Das ist dumm. Denn dadurch wurden Grenzen, die aus historischen Zufälligkeiten entstanden waren, als unverrückbare Staatsgrenzen einzementiert, obwohl sie nicht der Nationalität der Wohnbevölkerung entsprechen. Dadurch sind die gefährlichsten Pulverfässer für den Frieden in Europa (außerhalb der Nachfolgestaaten der einstigen Sowjetunion) auf Dauer scharf gestellt. Deshalb müssen die Menschen in Bosnien und im Kosovo weiterhin auf Ruhe, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung warten. Wohlstand und Stabilität kann es nämlich nur geben, wenn die äußeren Grenzen und die innere Loyalität der Bürger in allen Regionen außer Streit stünden.

Es ist absurd, dass die Kosovo-Albaner und die islamischen Bosniaken glauben, dass sie weniger wichtig, weniger bedeutsam wären, würden sie auf jene relativ kleinen serbischen (und im Falle Bosniens auch kroatischen) Gebiete verzichten. Denn ganz eindeutig stimmt das Gegenteil. Wohlstand, Investoren und Sicherheit kommen nur, wenn das staatliche Fundament, die Grenzen und damit der Friede völlig außer Streit stehen. Dasselbe trifft im Übrigen umgekehrt auch auf Serbien zu, wo es einige albanische Dörfer gibt, die Serbien nicht in die Selbstbestimmung entlassen will.

Freilich ist auch Europa mitschuld an dieser Fehlentwicklung – obwohl sie Europa dazu zwingt, seit den Neunziger Jahren eine teure Sicherheits-Patenschaft über Bosnien und Kosovo ausüben zu müssen. Aber der Westen hat sich nie zu einem Bekenntnis für das Selbstbestimmungsrecht auch für die Serben durchringen können, wie er es einst – nicht zuletzt als Folge der tapferen und zuerst einsamen Bemühungen von Alois Mock und Hans-Dietrich Genscher – für Slowenen und Kroaten getan hat.

In Europa haben nämlich immer wieder jene Staaten die Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Serben verhindert, die selbst vor der Respektierung des Selbstbestimmungsrechts Angst haben. Daher müssen wir in Europa auch weiterhin in einem System des Unrechts leben, wo ohne ethische und ethnische Begründung ein Volk über das andere herrscht, meist nur, weil es das einst kriegerisch durchgesetzt hat. Daher ist in Europa auch außerhalb der einst sowjetischen Gebiete die Kriegsgefahr nicht ausgerottet.

Deswegen herrschen die Spanier über die Katalanen. Deswegen herrscht Italien über Südtirol. Deswegen herrscht Rumänien über Transsylvanien (Siebenbürgen). Deswegen die Slowakei über ihre südlichen, ungarisch bewohnten Gebiete. Und so weiter.

Dabei könnten diese imperialistisch-nationalistisch denkenden Herrschaftsnationen etwa am Beispiel Tschechiens sehen, dass es den Tschechen nur genutzt hat, als sie die nach Sezession lechzenden Slowaken friedlich gehen ließen.

Dabei könnten sie auch am Beispiel Großbritanniens sehen, wie rasch ein jahrzehntelanger blutiger Bürgerkrieg beendet war, als London den Nordiren das Selbstbestimmungsrecht garantiert hatte (das zweifellos auch ausgeübt werden wird, sobald der nach Irland strebende Bevölkerungsteil durch seine Geburtenfreudigkeit die Mehrheit hat).

Im Fall der Serben kommt zur Perpetuierung erstens der regionalen, zweitens der überregionalen Kriegsgefahr in letzter Zeit ein dritter, noch ganz besonders gefährlicher Destabilisierungsfaktor hinzu: Der heißt Russland. Moskau zündelt ganz eindeutig und begeistert überall dort, wo sich die Serben benachteiligt fühlen. Immerhin waren Russen und Serben schon 1914 emotional eng verbündet, was dann letztlich den Startschuss zu zwei fürchterlichen Weltkriegen gegeben hat.

Daher wäre es dreifach klug, Unrecht auch an den Serben anzuerkennen, dort wo diesen wirklich Unrecht geschieht (was natürlich an den historischen Fakten nichts ändert, dass es die Serben sind, die durch ihren blutrünstigen Imperialismus die Hauptschuld an den fürchterlichen Jugoslawienkriegen getragen haben, die dann nur dank der Amerikaner und ihrer Luftwaffe beendet werden konnten).

Selbstbestimmung auch für die Serben würde den größten Konfliktherd in unserer Nachbarschaft entschärfen, der jederzeit wieder blutig werden könnte. Das würde gleichzeitig den Russen die Möglichkeit nehmen, am Balkan die Lunte an den dortigen Pulverfässern zu entzünden, um Rache für die europäische Unterstützung der ebenfalls um ihre Freiheit und Selbstbestimmung ringenden Ukraine zu üben. Überdies würde es in Russen und Serben die Paranoia entkräften, dass der Westen immer gegen diese beiden Völker wäre.

Ähnlich friedensstiftend würde sich das Selbstbestimmungsrecht aber auch für alle anderen – zum Glück derzeit nicht so virulenten – genannten Konfliktzonen auswirken. Und natürlich auch für sehr, sehr viele viel explosivere Konflikte außerhalb Europas.

Das Selbstbestimmungsrecht, die Durchführung von Referenden unter internationaler Kontrolle in den umkämpften Regionen (natürlich samt Einschluss der derzeit Vertriebenen), wäre insbesondere auch die einzige Formel, wie der Ukraine-Krieg selbst vielleicht doch noch zu einem für beide Seiten irgendwie gesichtswahrenden Ende gebracht werden könnte. Sonst wird er weitergehen, bis eine der beiden Seiten aus Erschöpfung kollabiert oder ein Donald Trump die Ukraine fallen lässt. Gewiss wäre ein solches Referendum mit vielen Problemen im Detail verbunden, aber wenn solche Vorschläge einmal auf dem Tisch liegen, bestünde die erste Chance auf ein Ende des Schlachtens.

Der Kampf für dieses Prinzip wäre zweifellos die effektivste Strategie, um künftige Kriege in dieser Welt, in diesem Europa zu verhindern, um ihre Zahl zumindest drastisch zu verringern. Dort, wo aber der Weg des Selbstbestimmungsrechts verhindert oder nicht begriffen wird, sollten sich die friedliebenden Nationen wenigstens von drei Positionen trennen, die zwar gut gemeint sind, die aber in Wahrheit die Kriegsgefahr nicht verringern, sondern vergrößern:

  • Das ist das Verbot von eindeutig und ausschließlich defensiven Waffen wie Minen durch internationale Konventionen. Denn je schwerer es militärisch für einen Angreifer wäre vorzustoßen, umso größer ist die Hoffnung, dass er gar nicht erst angreift.
  • Das ist der Internationale Strafgerichtshof. Denn wenn Kriegführende damit rechnen müssen, lebenslänglich in einem niederländischen Gefängnis zu verkommen, werden sie noch weniger zu einem Kompromissfrieden bereit sein (wie er etwa in Südafrika geglückt ist, wo beide Seiten verzichtet haben, die während des Krieges begangenen Verbrechen gerichtlich zu verfolgen).
  • Das ist das Institut der immerwährenden Neutralität. Denn es verhindert die geschlossene Solidarität der Staatenwelt gegen Kriegstreiber und Aggressoren, die eine durchaus relevante Abschreckung wäre, irgendwelche Ansprüche mit Gewalt durchzusetzen.

Es ist beklemmend und erschreckend, in einer Welt zu leben, wo nirgendwo ernsthaft nachgedacht wird, welche Strategien und Rechtsregeln die besten Chancen brächten, dass es zu keinem weiteren Kriegsausbruch kommt. Laut zu rufen "Die Waffen nieder!" kann hingegen keinen Aggressor stoppen.