
Der Papst, Donald Trump und die zwölf Gebote des Friedens
Manche werden erstaunt gewesen sein. Aber eigentlich war es logisch, dass Donald Trump am Begräbnis von Papst Franziskus in Rom teilgenommen hat, obwohl sein persönlicher Lebenslauf eigentlich wenig religiöse Spuren zeigt. Und das gleich aus mehreren Gründen.
- Erstens: Trump lässt – wie viele andere Politiker – ungern Gelegenheiten aus, wo er ohne lästigen Widerspruch oder Hinweise auf Probleme vor den Fernsehkameras auftauchen kann. Man denke nur an einen Alexander van der Bellen.
- Zweitens: Sowohl Trumps jetzige Ehefrau wie auch sein jüngster Sohn Barron sind sehr katholisch und zeigen auch immer wieder ihre Religiosität. Von Barron kursieren sogar Video-Aufnahmen, wo er voll Inbrunst "Lord Jesus, You're the Only Way" singt und sehr eindrucksvoll seinen Glauben bekennt.
- Drittens zählen christliche Wähler mehrheitlich zu den Unterstützern Trumps. Diese Unterstützung wurzelt eindeutig in seiner Haltung zur Abtreibung und in seinem Kampf gegen woke Verirrungen (auch wenn seine jetzige inflationstreibende Zollpolitik und seine Nähe zum russischen Diktator ihm inzwischen etliche Sympathien wieder geraubt haben).
- Viertens hat es Trump gerade jetzt, da seine Beliebtheitskurven auch in den USA deutlich nach unten gehen, dringend nötig, sich zumindest an Teile seiner Wähler wieder anzunähern, um sein scharfes Image gleichsam durch einen sympathischen Weichzeichner zu verschönern.
- Und fünftens haben Trump und der verstorbene Papst mehr als alle anderen Staatsoberhäupter die Linie zum Ukraine-Krieg geteilt.
Diese Linie verdient in der Folge nähere Untersuchung. Ihr Kern lautet:
Krieg ist ein ganz schlimmes Unheil, das Schlimmste, das in der Weltgeschichte passieren kann. Daher solle die Ukraine, auch wenn sie der Angegriffene ist, die Weiße Fahne der Kapitulation aufziehen.
Diese Linie ähnelt jener, die auch ein Teil der FPÖ-, AfD-, Le-Pen- oder Reform-Partei- wie auch der linksradikalen Wähler bezogen hat. Sie weist jedoch katastrophale Denkfehler und ethische Defizite auf, wie diese zwölf Gebote für einen echten Frieden zeigen:
- Die Entscheidung, die Weiße Fahne zu hissen, kann legitimerweise nur vom Betroffenen selbst getroffen werden. Wenn hingegen ein Dritter sie öffentlich einer Partei anrät oder gar für diese zu treffen versucht, bevor diese selbst aufgeben will, dann ergreift dieser Dritte logischerweise einseitig die Seite des anderen, greift also einseitig in den Krieg ein, selbst wenn er keinen Schuss abgibt.
- Die Aufforderung an einen Angegriffenen zum Hissen der Weißen Fahne bedeutet darüber hinaus eindeutig eine Belohnung für die Aggression. Zwischen Vatikan und Washington hat aber bisher kein einziger Verantwortlicher das Faktum bezweifelt, dass Russland die Ukraine angegriffen hat und nicht umgekehrt.
- Das moralische Recht zur Selbstverteidigung war bisher von absolut niemandem, auch von keiner Religion geleugnet worden.
- Ebenso moralisch richtig ist es, einem eindeutig Angegriffenen zu helfen. Der einstige britische Premierminister Chamberlain hat unmoralisch gehandelt, als er, statt zu helfen, dem Aggressor Hitler in feiger Selbsttäuschung Österreich und die Tschechoslowakei geopfert und dadurch dem Aggressor überdies Zeit zum Aufrüsten für die nächsten Angriffe auf Polen und zahlreiche andere europäische Länder gegeben hat.
- Ganz eindeutig ist ein einseitiges Eingreifen von außen in den Krieg an der Seite des Aggressors nicht ein Schritt, der Blutvergießen beendet – selbst wenn das behauptet wird und selbst wenn das kurzfristig in der Ukraine gelingen sollte –, sondern das absolute Gegenteil. Es führt langfristig mit großer Wahrscheinlichkeit zu weit mehr Blutvergießen. Denn es bedeutet eine massive Ermutigung für alle Mächte der Welt, die sich militärisch stärker fühlen, in Zukunft gefahrlos einen Schwächeren anzugreifen. Denn die Aggressoren können dann davon ausgehen, dass die Außenwelt, die als einzige dem Opfer helfen könnte, diesem wieder zum Hissen der Weißen Fahne raten wird, statt ihm beizustehen.
- Die Aufforderung an einen Angegriffenen zum Hissen der Weißen Fahne bedeutet auch das Ende des Rechts und jedes zumindest theoretischen Anspruchs auf rechtliche Regeln in den Beziehungen zwischen Staaten und das Ersetzen dieses Anspruchs durch das Recht des Stärkeren. Das gesamte Völkerrecht, das sich ständig um das Gewaltverbot dreht, müsste eigentlich jetzt gemüllt werden.
- Davon unabhängig ist es die ureigenste Entscheidung eines Angegriffenen, einer Aggression ganz oder teilweise nachzugeben, weil man sich zu schwach fühlt, weil man lieber einen extrem schmerzhaften Preis für den Frieden zahlt, als weitere Blutbäder zu ertragen. Davon ist nach allen verfügbaren Daten die Mehrheit der Ukrainer aber weit entfernt.
- Das ist aber dann eben ein Diktatfrieden, der in aller Regel nicht lange hält. Man denke etwa an den ersten Weltkrieg mit seinen vor allem von Frankreich durchgesetzten extrem unfairen Friedensverträgen, die etwa Gebiete, die seit Jahrhunderten von deutschsprachigen Österreichern in der Habsburger-Monarchie bewohnt worden sind, komplett der neugegründeten Tschechoslowakei anvertraut haben. Diese Friedensverträge haben dann in absolut direkter Kausalität Hitler den Weg zur Macht, zum zweiten Weltkrieg und auch zum Holocaust ermöglicht.
- Dauerhafter Frieden ist mit absoluter Sicherheit nur durch Gerechtigkeit, nur durch eine Lösung zu erzielen, die von beiden Seiten als gerecht empfunden wird.
- Nicht ganz so verwerflich wie ein solches strikt zu verurteilendes Eingreifen zugunsten eines Aggressors, aber jedenfalls auch extrem unmoralisch ist das tatenlose Beiseitestehen, wenn jemand überfallen wird. Auch im Christentum ist immer kollektive Selbstverteidigung legitim und akzeptiert, ja auch oft vom Papst selbst organisiert worden, wie 1683 zur Rettung Wiens vor der türkisch-islamischen Bedrohung.
- Ein tatenloses Beiseitestehen ist dann besonders unmoralisch, wenn man Hilfe für den Angegriffenen leisten könnte, ohne sich selbst zu gefährden. Solche Hilfe wäre vor allem im Fall der Ukraine dadurch möglich, dass man ihr die erbetenen Waffen schickt, vor allem die dringend benötigten Luftabwehrsysteme zum Schutz der ukrainischen Städte (wie sie etwa Israel so gut schützen). Das lässt sich gut mit einem Beiseitestehen der Feuerwehr vergleichen. Auch bei dieser ist es eindeutig unmoralisch, wenn sie einem Opfer nicht zu Hilfe kommt, etwa weil der Einsatz zu gefährlich ist, etwa weil sie meint, das sei ja nicht "ihr" Brand.
- Und noch unmoralischer ist es, wenn man dem Opfer auch die Schläuche zum Selberlöschen eines Brandes verweigert, obwohl man sie hat und obwohl Ihre Zurverfügungstellung mit keinerlei Gefahren verbunden wäre. Der Vorwurf, unmoralisch zu agieren, trifft auch dann mit vollem Recht zu, wenn sich der tatenlos Beiseitestehende auf irgendeinen formalen Umstand beruft, den er etwa "Neutralität" nennt. Diese ist mit einem Feuerwehrmann zu vergleichen, der bei jedem Brand lügnerisch behauptet, erkrankt zu sein.
Hochinteressant ist da jedenfalls eine Fürbitte gewesen, die am Beginn der Begräbnisfeiern für Papst Franziskus gesprochen worden ist: Darin war die urchristliche Bitte um Frieden ausdrücklich mit der Bitte um Gerechtigkeit verbunden worden. Da scheint man beim Nachdenken erkannt zu haben, wie falsch der Papst in diesem Punkt unterwegs gewesen ist – wollte ihn aber nicht desavouieren.
Denn man hat erkannt: Friede ohne Gerechtigkeit ist immer unmoralisch. Er kann nie zu einem dauerhaften Frieden führen, selbst wenn kurzfristig die Waffen schweigen.