
Bitter, aber nicht unverdient
Die klatschende Ohrfeige für Friedrich Merz im ersten Wahlgang der Kanzlerwahl ist ein weiteres Signal für den schlechten Zustand Deutschlands. Noch nie hat ein designierter Bundeskanzler einen zweiten Wahlgang gebraucht, um eine eigentlich vereinbarte Regierungsbildung zu besiegeln. Wer auch immer die 18 Heckenschützen aus den Unionsparteien und SPD gewesen sind, die dem CDU-Chef wider die Vereinbarungen ihrer Parteispitze im ersten Wahlgang die Wahl zum Bundeskanzler verweigert haben (drei davon haben auch noch im zweiten Wahlgang gegen ihn gestimmt): Es gab auf beiden Seiten für einzelne Abgeordnete genug Gründe dafür, das zu tun.
Es ist geradezu symbolisch, dass unter den vier größten Ländern Europas ausgerechnet das lange als Krisenkind eingestufte Italien heute die weitaus stabilste Regierungsmehrheit hat. Denn dort haben die Wähler die verlogene Brandmauer eingerissen, dass man mit rechten Schmuddelkindern nicht zusammenarbeiten dürfe.
Und genau um das geht es auch in Deutschland. Solange man dort nicht bereit ist, auch mit der AfD zu koalieren, kann keine Stabilität mehr zurückkehren. Das ist eindeutiges Faktum – schon auf Grund der Tatsache, dass die schwarz-rote Möchtegern-Koalition am Wahltag nur noch 45 Prozent Unterstützung bei den Wählern bekommen hat, zwar im Bundestag eine Mehrheit hat, weil etliche andere Parteien an der Fünfprozentklausel gescheitert sind – aber von den dabei gewählten Abgeordneten sind zumindest 18 auf innerer Distanz, was die Mehrheit zunichte macht.
Inzwischen erreichen Schwarz-Rot bei den Umfragen überhaupt nur noch 40 bis 42 Prozent. Zusammen.
Die Gründe der demonstrativen Ohrfeige innerparteilicher Heckenschützen aus den Reihen einer der beiden künftigen Regierungsparteien für Merz können mehrfach sein (ist doch nicht einmal sicher, ob die 18 abgesprochen oder individuell agiert haben):
- Das können Abgeordnete sein, die sich bei der Regierungsbildung übergangen fühlen.
- Das können Abgeordnete aus dem Osten sein, die den Osten Deutschlands zu wenig in der Regierung repräsentiert sehen.
- Das können welche sein, die sich mit dem sehr machtbewussten Stil der Parteichefs Merz beziehungsweise Klingsbeil (der seine Ko-Vorsitzende Esken nicht einmal in die Regierung kommen hat lassen) abfinden wollen.
- Das können welche sein, die auf diese Weise gegen das Regierungsprogramm oder gegen die zynische Aufhebung der vorher von der Union so beschworenen Schuldenbremse protestieren wollen.
- Das können welche sein, die es als katastrophalen Fehler von Merz erkennen, nicht statt der SPD die AfD als Partner genommen zu haben.
Wie auch immer: Es ist nun bewiesen, dass nicht nur die am Wahltag geschwundenen Abgeordnetenstimmen, sondern auch die Instabilität der parlamentarischen Mehrheit ganz schlechte Vorzeichen für eine schwarz-rote Regierung sind.
Zugleich ist deutlicher denn je geworden, dass es von CDU/CSU viel klüger gewesen wäre, mit der AfD an Stelle der SPD in Koalition zu gehen. Denn:
- Das wäre die einzige Zweierkoalition mit einer sicheren Mehrheit.
- Das wäre eine Koalition, die zum Unterschied von Schwarz-Rot bei Umfragen seit der Bundestagswahl eine noch viel größere Wählerzahl hinter sich versammeln konnte.
- Das wäre wohl die letzte Chance für CDU/CSU, als führende Partei in einer solchen Koalition den Kanzler zu stellen.
- Das wäre auch die richtige Konsequenz aus der Tatsache gewesen, dass ein großer Teil der AfD-Wähler früher die Unionsparteien gewählt hat.
- Das würde auch dem erfolgreichen italienischen Modell entsprechen, das dort nach Jahrzehnten der Dauerkrisen wieder zur Stabilität geführt hat, das dazu geführt hat, dass seither eine klar prowestliche und proukrainische Linie dominiert, bei der die – auch bei der italienischen Rechten (Matteo Salvini) so wie bei der AfD vorhandenen – Russland-Sympathien zum Schweigen gebracht werden konnten.
- Das wäre im übrigen auch die richtige Antwort auf die agitatorische Behauptung des sogenannten Verfassungsschutzes, die AfD wäre wegen ihrer islam- und migrationskritischen Haltung rechtsextrem, ohne auch nur einen einzigen Beweis zu liefern, die AfD wäre antisemitisch, plane Gewalt oder einen Umsturz.
Aber die knappe Doch-noch-Mehrheit im Bundestag hat sich – letztlich trotz des schweren Rückschlags erwartungsgemäß – für ein weiteres Dahinwurschteln entschieden. Das bedeutet für die Zukunft weitere Zugewinne der AfD. Das bedeutet für ganz Europa intensivierte Zeiten der Beunruhigung und Unsicherheit. Das nützt nur einem: dem Diktator in Moskau.
PS.: Zumindest ÖVP und SPÖ können aus den Vorgängen in Deutschland etwas Positives entnehmen: nämlich eine indirekte Bestätigung für ihre Entscheidung, trotz einer (sehr) knappen Mandatsmehrheit eine dritte Partei an Bord ihrer Koalition genommen zu haben, obwohl dadurch das Konsensfinden nicht gerade einfacher geworden ist.