Warning: Illegal string offset 'portraitimage' in /var/www/lweb50/htdocs/science-blog.at/conf.php on line 67
Ruhige Vernunft statt Charisma-Spektakel

Ruhige Vernunft statt Charisma-Spektakel

Nach einem charismatischen Papst, der voran stürmte, ohne freilich genau zu wissen, wohin er wollte, tut der katholischen Kirche der neue Mann an der Spitze enorm gut. Denn Robert Prevost ist ein Mann der ruhigen Vernunft, der gute Chancen hat, die jetzt so vielflügelig gewordene Kirche wieder um ein Zentrum zu einen. Darauf deuten seine eigenen Worte ebenso hin wie sein Lebenslauf. Mehr als eindrucksvoll wie aber auch amüsant sind die ersten Reaktionen auf seine recht rasch erfolgte Wahl. Eher nachdenklich stimmt hingegen seine Namenswahl.

Die zentrale Botschaft seiner ersten Worte als Papst ist zweifellos auch die zentrale Botschaft von Jesus Christus gewesen: Friede. Dazu formulierte der neue Papst auch die richtigen Schüsselworte: Gerechtigkeit, Dialog, Einheit. Und: Das Böse wird nicht siegen.

Genau das scheint auch die richtige Mischung aus Christentum und durchaus irdischer Vernunft zu sein. Kein Friede ohne Gerechtigkeit. Und nur Dialog führt zu diesem Frieden, aber auch zur Gerechtigkeit. Die Einheit wiederum ist die zentrale Aufgabe aller Kirchenführer und die des Papstes ganz besonders. 

Kein Zweifel: Die wenigen Minuten seines ersten Auftretens als Papstes, ebenso wie die Tatsache, dass er vor der Theologie die hohe Schule des abstrakten Denkens, also Mathematik, studiert hat, ebenso wie die Berichte jener, die ihm schon vorher begegnet sind, zeigen, dass die Phase der begeisternden, aber letztlich kurzlebigen Emotion an der Spitze der Kirche in spannender Abwechslung durch eine Phase des nüchternen und scharfen Intellekts abgelöst worden ist. Dass sich allein dadurch viel ändern wird. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der nunmehrige Leo XIV. wie bei fast jedem Papstwechsel dem Vorgänger Tribut zollt, dass sein Aufstieg auch eindeutig eine gezielte Entscheidung des Vorgängers gewesen ist, der ihn im Expresstempo vom einfachen Missionsbischof zum Kardinal und Leiter eines der wichtigsten Abteilungen des Vatikans gemacht hat.

Aber auch Franziskus wusste offensichtlich, dass seine spirituelle Dimension gerade im Vatikan ein nüchternes Gegengewicht gebraucht hat, das ihm nun auch nachfolgt. Prevost symbolisiert darüber hinaus geradezu idealtypisch die Weltkirche durch die vier Dimensionen seines Lebenslaufes:

  1. Er ist erstens durch seine Abstammung aus den USA geprägt, dem in vielerlei Hinsicht erfolgreichsten Land der Welt, das deshalb zugleich auch ein gewaltiger Magnet für Millionen von Migranten aus dem katholischen Lateinamerika ist. Damit ist eine gewaltige Dialektik gegeben: Einerseits muss eine Kirche, die an der Seite der Armen steht, immer auch an der Seite der Armutsflüchtlinge, wie aber auch Flüchtlinge vor den kommunistischen Diktaturen in Venezuela und Kuba stehen – dann besonders, wenn die ganz überwiegend der Kirche angehören und Menschlichkeit für diese Flüchtlinge einfordern.
    Andererseits kann man nicht ignorieren, warum alle Lateinamerikaner gerade in die USA flüchten wollen, das in Europas Medien derzeit wohl meist kritisierte Land der Welt: eben weil es – wenn man es einmal geschafft hat – auch ein Land der Freiheit ist, ein Land der Chancen und des Erfolgs, ein Land, das für viele noch immer der erhoffte Weltpolizist sein soll. Gleichzeitig spielen die USA, wo drei von fünf Bürgern christlich sind und einer dieser drei katholisch ist, innerhalb der Kirche aber eine klare Sonderrolle: Die amerikanische Kirche ist einerseits für die Finanzen der immer geldknappen Weltkirche enorm wichtig, andererseits hat sie aber großes Selbstbewusstsein entwickelt und sich als eher konservativer Gegenpol zu Franziskus entwickelt. Dies geschah nicht zuletzt auch im Sog der in den USA enorm stark angewachsenen evangelikalen Bewegung, die noch viel klarer konservativ ist als die meisten Bischöfe.
  2. Prevost kann zweifellos nicht seine amerikanische Prägung ablegen, auch wenn er nie zu jenen US-Kirchenmännern gezählt hat, die innere Opposition gegen den Papst geübt hat. Er ist aber wohl noch mehr geprägt durch seine Jahre in Peru, wohin er als Missionar entsandt war, und wo er dann zum Bischof geworden ist. Peru ist geradezu ein Musterbeispiel für die lateinamerikanische Malaise: durch seine Hochschaubahn von Linksregimen, kurzen liberalen Versuchen, Militärdiktaturen, Terrorismus, Korruption und Spannungen zwischen einer weißen Oberschicht und armen Indigenen, aus der sich nie ein wirklich dauerhaft stabiles Staatswesen entwickeln konnte.
  3. Prevost ist auch – wie sein Vorgänger ­– ein Mann aus der für die Kirche so wichtigen Ordenswelt, die lange aber kaum als Papstreservoir gedient hat. Bei seinen Augustinern ist man viel mehr als bei Papst Bergoglios Jesuiten durch das mönchische Gemeinschaftsleben geformt. Und zum Unterschied von den sogenannten Weltpriestern, die primär an eine Diözese gebunden sind, schicken Orden ihre Angehörigen aber auch bewusst in der Welt herum, was eine spannende Mischung aus spirituellem Gruppenleben und globalem Denken ergibt.
  4. Und schließlich war der neue Papst zuletzt auch im Vatikan in einer wichtigen Position als Leiter des  Bischofsdikasteriums tätig. Dadurch ist er einerseits zur Anlaufstelle für alle nach Rom kommenden und für alle zu bestellenden Bischöfe geworden – eine Bekanntheit, die sicher seine Papstwahlchancen nicht gerade verschlechtert hat. Dadurch war er aber auch ein Mann der Kurie, weshalb anzunehmen ist, dass es diesmal keine Spannungen zwischen einem eigenwillig agierenden Papst und jenen Männern geben wird, die eigentlich als seine engsten Berater und Helfer fungieren sollen.

Diese Mischung prädestiniert zweifellos Prevost ganz besonders für die wichtigste weltkirchliche Führungsposition. Und aus dieser vielfältigen Prägung heraus hat er auch gespürt, dass er seine ersten programmatischen Worte dem Wichtigsten widmet, was die Welt braucht: dem Frieden, Frieden durch Gerechtigkeit. Stehen wir doch nach dem russischen Überfall dem schlimmsten europäischen Krieg seit 80 Jahren gegenüber, stehen einander doch mit Indien zwei Atommächte seit kurzem in blutigen Auseinandersetzungen gegenüber. Sind doch Chinas Angriffspläne gegen Taiwan so konkret wie noch nie, womit auch dort eine, wenn nicht zwei Atommächte in kriegerische Eskalationen verwickelt sind. Und leiden doch von Gaza bis Sudan bis Jemen die Menschen unter bösen Kämpfen.

Etwas verblüffend wirkt hingegen seine Namenswahl als Leo XIV. Denn der bisher letzte Träger des Namens Leo war einerseits ein Papst, der gegen die italienische Einigung sehr um die weltliche Rolle des Kirchenstaates gekämpft hat, andererseits ist er vor allem durch seine Enzyklika "Rerum Novarum" in die Geschichte eingegangen. Diese Sozialenzyklika diente als Vorbild vieler anderer Sozialenzykliken. Sie bedeutete vor allem die Zuwendung der Kirche zur Sozialpolitik.

Die darin kreierte Idee des "gerechten Lohnes" klingt zwar edel (wenn sie auch im Widerspruch zum Weinberg-Gleichnis steht, wo jeder gleich viel bekommen sollte, ob er nun eine oder zwölf Stunden gearbeitet hat). Diese Idee geht aber vor allem an der ökonomischen Realität vorbei. Denn es gibt keinen "gerechten Lohn": Denn wenn es Mangel an Arbeitskräften gibt, werden die meisten mehr als einen "gerechten Lohn" fordern und bekommen, egal wie hoch man den ansetzt. Wenn hingegen ein Unternehmen seine Waren nicht anbringt, weil sie zu teuer sind (etwa gegen die Konkurrenten aus anderen Ländern), dann hilft es dem Unternehmen gar nichts, dass es deshalb zu teuer ist, weil es einen "gerechten Lohn" zahlt. Dann werden trotz eines (oder vielmehr wegen eines) "gerechten Lohns" seine Arbeiter arbeitslos.

Aber dieses Denken, dass man solcherart Löhne festsetzen kann, prägt dennoch seit dem 19. Jahrhundert die gesamte christliche Soziallehre und bringt sie den durch die Bank gescheiterten sozialistischen Wirtschaftsmodellen nahe.

Oder hat Prevost gar diesen Namen gewählt, weil der Vorgänger gleichen Namens noch sehr als weltlicher Politiker die Staatsinteressen des Kirchenstaates verteidigt hat?

Noch ein weiteres kleines Fragezeichen hinter die Person des neuen Papstes: Es ist jedenfalls nicht gelungen, dass der endgültig in die Pension geschickte Wiener Erzbischof auch rechtzeitig einen Nachfolger bekommen hätte. Dabei war ja dessen Alter seit langem auch dem zuständigen Dikasterium bekannt. Mag sein, dass Papst Franziskus entsprechende Nachbesetzungs-Vorschläge bis zu seinem Tod am Schreibtisch ohne Unterschrift liegen gelassen hat. Aber dennoch darf man schon auch an Prevost als den Zuständigen erinnern.

Dennoch fällt die Erwartungshaltung an den neuen Papst insgesamt durchaus positiv aus. Er wird nach allem, was man weiß, die Kirche auf einen klugen Mittelweg führen. Er wird weder das Frauenpriestertum zulassen noch Latein als verpflichtende Messsprache wieder einführen. Dennoch, so steht zu befürchten, haben sich die zwei Kirchenflügel schon so weit voneinander entfernt, dass der vom Papst angedeutete Dialogweg kaum gelingen kann.

Dieser Mittelweg der Klugheit ist aber jedenfalls die Botschaft, welche die spontan dem neuen Papst zujubelnden Massen bejahen. Sie begeistern sich für die Kirche und nicht für einen Flügel. Den gibt es vor allem in den ZiB-Studios und Zeitungsredaktionen, wo vor allem linkskatholisch geflattert wird.

Zu guter Letzt bleibt eine Beobachtung, die amüsiert: Fast als erstes ist zahlreichen Kommentaren ein- und aufgefallen, dass Leo XIV. so "jung" sei. Dabei wird er in vier Monaten 70 Jahre alt. Dabei war historisch das Durchschnittsalter der Päpste am Tag des Amtsantritts bei rund 57 Jahren gelegen.

Hoffentlich hören das die österreichischen Gewerkschafter und Sozialdemokraten nicht, dass ein 70-Jähriger den schwierigsten Job eines globalisierten Unternehmens überhaupt jetzt erst antritt. Sonst könnten ja alle Dämme der sozialen Ausbeutung reißen....