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1450 Hoffnungen

1450 Hoffnungen

Die Regierung hat den Mund zwar sehr vollgenommen – aber wenn es funktionieren sollte, wäre es absolut eine tolle Leistung. Diese könnte sich dann vor allem die SPÖ zugute schreiben, welche auch die involvierten Minister stellt. Es wäre der erste wirklich positive Beitrag der Sozialdemokratie für Österreich und seine Menschen seit langem – im Grunde seit der Mitte der 80er Jahre beziehungsweise seit dem ersten Nachkriegsjahrzehnt.

Zuvor sei kurz an jene zwei historischen SPÖ-Leistungen erinnert: In den Jahren 1945-1955 haben sich die Sozialisten – nicht nur, aber ganz besonders der Arbeiterführer Franz Olah, der Innenminister Oskar Helmer und die Arbeiterzeitung unter Franz Kreuzer – heroisch den von Moskau unterstützten Kommunisten entgegengestellt. Sie haben einen kommunistischen Putschversuch auf der Straße abgewehrt, sie haben in ihrer Zeitung immer wieder ungeschminkt sowjetrussische Übergriffe aufgedeckt, und sie haben vor allem alle Versuche abgeschmettert, ähnlich wie in Ostdeutschland Kommunisten und Sozialisten in eine linke Einheitspartei zusammenzufassen. So negativ ihre Rolle in der Zwischenkriegszeit beim Kampf um Österreichs Unabhängigkeit, Demokratie und Freiheit auch gewesen ist – sie hatten damals Klassenkampf betrieben, jede inneröstereichische Kompromissbereitschaft abgelehnt und eine "Diktatur des Proletariats" angestrebt –, so positiv ist ihre Rolle in diesen Jahren nach dem zweiten Weltkrieg zu sehen. Sie haben sich dabei auch lange sehr proamerikanisch positioniert. Das war für die damalige Generation alles sehr wichtig (auch wenn die heutige linke Geschichtsumschreibung dafür zu sorgen versucht, dass die Russen nur noch  als Befreier gesehen werden dürfen …).

Die zweite historische Leistung der SPÖ für Österreich war dann in den 80er Jahren der vor allem von Franz Vranitzky vollzogene Schwenk von einer jahrzehntelang von Verachtung geprägten antieuropäischen Haltung hin zum EU-Beitritt. Dass geschah unter dem Druck der Gewerkschaften, die nach dem Kollaps der Verstaatlichten Industrie erkannt hatten, dass Österreichs Industrie unbedingt den Vollbeitritt zur europäischen Integration braucht, wenn sie überleben will, während Grüne, Bauern und Freiheitliche sich sehr negativ verhielten.

Gewiss: Hinter diesen zwei großen Beiträgen darf man keinesfalls die vielen Schlechtpunkte bei der Bewertung der SPÖ vergessen. Das ist vor allem die Hauptverantwortung (nicht die alleinige) für die gefährliche Ausdehnung von Staatsverschuldung und Steuerlast. Das ist das Festhalten am völlig illusorischen Konzept der Neutralität in Zeiten der gemeinsamen Bedrohung Europas. Das ist der Kampf gegen die seit langem dringend notwendige Erhöhung des Pensionsantrittsalters. Das ist die Unterstützung für die illegale Massenmigration und die Islamisierung, die nicht zuletzt in der antikatholischen Grundhaltung der SPÖ wurzelt.

Dennoch sei heute deshalb an jene beiden großen historischen Beiträge der SPÖ für die Nachkriegsrepublik erinnert, um ein aktuelles Vorhaben zu würdigen, das gar nicht wichtig genug eingeschätzt werden kann. Es mag zwar manchen übertrieben vorkommen, diesen beiden wichtigen Wendpunkten mit europäischen Dimensionen ein rein innerösterreichisches Vorhaben der Sozial- und Gesundheitspolitik an die Seite zu stellen. Aber dennoch sei gesagt: Die Ankündigungen rund um das Telefonportal 1450 haben zumindest theoretisch das Zeug in sich, zur wichtigsten Reform des seit Jahrzehnten maroden österreichischen Sozialwesens zu werden.

Das Versprechen, dass man sich künftig bei jeder Krankheit an diese Telefonnummer wenden kann, ist epochal. Dass man dort telefonisch Gratisauskunft und medizinische Ratschläge bekommt, dass man dort einen – baldigen – Arzttermin ebenso wie einen Ambulanztermin vereinbaren kann, dass dort gleichsam Spreu vom Weizen getrennt wird.

Nur: Wird das Projekt auch gelingen oder am Ende nur viel Geld verschlungen haben? Als gelernter Österreicher darf man seine Zweifel anmelden. Denn offene Fragen und Anlass für Zweifel gibt es genug:

  1. Haben Heurigenwirt Babler und B-Beamtin Schumann die Managementfähigkeiten, um das größte Sozialprojekt seit Einführung der Krankenkassen durchzuziehen?
  2. Wird da nicht explosiver Frust entstehen, wenn man trotz allem auch über 1450 nur Termine mit vielen Monaten Vorlauf bekommt?
  3. Wie wird man die vielen hypochondrischen Wegelagerer los, die wegen eines harmlosen Schnupfens First-Class-Behandlung verlangen, oder die einfach Ablenkung in der Einsamkeit suchen und deshalb das System blockieren?
  4. Woher nimmt man die zusätzlichen Ärzte, damit die Menschen bald einen Termin bekommen, wenn unsere Universitäten zu einem Viertel Mediziner für Deutschland gratis ausbilden müssen?
  5. Schafft man es endlich, diese EU-Schikane loszuwerden und genug Druck aufzubauen?
  6. Wie kann das 1450-Modell funktionieren, ohne zuvor den Systembruch zwischen den Bundesländern, die – neben der Kirche – hauptverantwortlich für die Spitäler sind, und dem Bund, in dessen Bereich über die gesetzliche Krankenversicherung die ordinierenden Ärzte gehören, grundlegend zu lösen?
  7. Wird nicht bei der ersten telefonischen Fehldiagnose Panik ausbrechen und das ganze System wieder gekübelt werden, weil man halt am Telefon doch öfter Wichtiges übersehen kann als beim persönlichen Termin, sodass die Österreicher dann künftig doch wieder stundenlang herumtelefonieren oder noch länger in Wartezimmern warten müssen, um einen baldigen Arzttermin zu bekommen? Sind doch selbst bei Wahlärzten solche Termine Mangelware.

Je näher man sich die Größe der Aufgabe und die vielen Probleme anschaut, desto mehr kommt man in Zweifel, ob das Projekt gelingen kann. Und doch muss man der Regierung die Daumen halten, dass sie es schafft und dass es nicht bloß eine weitere sinnlose bürokratische Turnübung wird, bei der Millionen verbrennen.