
Wenn es nur das EU-Verfahren wäre …
Österreichs Wirtschaft befindet sich in einer katastrophalen Lage. Das zeigen drei öffentlich leider weitgehend unbeachtet gebliebene Studien mit noch viel größerer Deutlichkeit als das die Einleitung eines Defizitverfahrens durch die EU tut, die jetzt so viel Aufregung verursacht. Dieses einst von den europäischen Finanzministern als Schutz gegen allzu große Begehrlichkeiten von Lobbies und Parteien eingeführte Verfahren ist letztlich ungefährlich gegenüber dem, was diese Studien zeigen.
Gäbe es keine innerösterreichischen Fehler, würde sich die heimische Lage ja eher im Gleichklang mit den übrigen oder benachbarten europäischen Ländern entwickeln, die im Vorjahr immerhin ein Durchschnittswachstum von 1 Prozent hatten. Negativ waren nur Finnland, Deutschland, Estland sowie Lettland mit Minuswerten von 0,1 bis 0,4 Prozent – und Österreich mit einem viel größeren Minus von 1,2 Prozent.
Das ist ein dramatischer Abstand. Was für ein Gegensatz zu früher, wo Österreich vor zwanzig Jahren noch als Vorbild herumgereicht worden ist!
Am schlimmsten aber ist, dass kein Politiker mehr in Sicht ist – weder in Regierung noch Opposition –, der erstens die ökonomischen Zusammenhänge wirklich begriffe, und der zweitens den Willen und die Stärke hätte, eine Sanierung durchzuziehen. Es kamen regelmäßig Finanzminister zum Zug, die nicht allzu unbequem für die Regierungskollegen waren.
Die schweren innerösterreichischen Fehler beziehen sich aber vor allem auf die Löhne und Arbeitskosten. Die Österreicher haben zu viel auf Kosten der Zukunft konsumiert und nicht begriffen, dass die Zeiten härter geworden sind.
Das sind die drei Studien, von denen eigentlich jede nationale Krisensitzungen auslösen hätte müssen:
- 1) Die OECD-Studie "Taxing Wages 2025" zeigt, dass mittlerweile die Arbeitskosten in Österreich sogar über jenen der Schweiz liegen. Dabei hatte diese immer das Image höchster Löhne – wie aber auch höchster Qualität.
- 2) Dass es mit der Ostalpenrepublik wirtschaftlich steil bergab geht, zeigt auch die jüngste Konjunkturprognose der OECD: Diese prophezeit, dass Österreich auch 2025 mit einem Minus des Wirtschaftsprodukts von 0,3 Prozent zu rechnen hat. Damit stehen wir im dritten Rezessionsjahr. Dabei war die gleiche Organisation noch im Dezember von einem Wachstum von 1,1 Prozent ausgegangen. Das bedeutet mit hoher Wahrscheinlichkeit, dass auch etliche der österreichischen Budgetdaten weiter verändert werden müssen, dass das Defizit noch größer wird, weil bei schlechterer Konjunkturlage die Staatseinnahmen zwingend schlechter als beim erhofften Wachstum ausfallen dürften.
- 3) Eine ganz besonders anschauliche Ursachenanalyse liefert eine Untersuchung des Wirtschafts-Thinktanks Agenda Austria. Ihre Ergebnisse sind dramatisch: Sie zeigt, dass sich in den letzten fünf Jahren das Lohnniveau in Österreich geradezu explosiv von der gesamteuropäischen Entwicklung abgekoppelt hat. Während im Euroraum nach Angaben der Europäischen Zentralbank die Löhne seit 2020 um 17,2 Prozent zugenommen haben, waren das in Österreich 28 Prozent!
Eine gewaltige Differenz, die eigentlich alle Alarmglocken schrillen lassen müsste.
Gleichzeitig zeigen alle Vergleiche, dass sich der technologische Fortschritt (mit dem man eventuell höhere Löhne rechtfertigen könnte) hierzulande in engen Grenzen hält. An österreichischen Unis gibt man das Geld des Steuerzahlers oft lieber für Ideologie-Unsinn wie Gender-, Postkolonialismus- und neomarxistische Politik-Institute aus statt für die entscheidende naturwissenschaftliche und technische Forschung. Dabei ist einzig diese wohlstandsrelevant.
Keiner der diversen Wissenschaftsminister hat diesen fatalen Trend zu bremsen verstanden. Und die jetzt ans Ruder gekommene feministische SPÖ-Ministerin wird zweifellos nicht einmal versuchen, den Trend zu bremsen, sondern sie wird ihn eher verstärken. Auch die industrielle Forschung hat lediglich im biologischen Bereich Relevantes zu bieten. Also gab und gibt es keine sonderliche Fülle heimischer Erfindungen und Patente, welche den heimischen Exporteuren durch bessere Produkte oder billigere Produktionstechniken trotz hoher Lohnsteigerungen einen Wettbewerbsvorteil verschaffen könnten.
Gleichzeitig ging in Österreich die tatsächlich geleistete Arbeitszeit auch bei den sogenannten Vollerwerbstätigen kontinuierlich zurück: War sie 2008 noch die dritthöchste unter den EU-Staaten, so liegt sie jetzt im hintersten Drittel.
Mit einem Satz: Wir haben es uns ohne objektive Berechtigung immer besser gehen lassen, höhere Löhne nach Hause getragen, gleichzeitig immer weniger gearbeitet – und bekommen jetzt die saftige Rechnung dafür präsentiert.
Eigentlich müssten auch Traiskirchner Heurigenwirte verstehen, dass das alles einen direkten Zusammenhang mit den reihenweisen Pleiten heimischer Unternehmen hat, die diese höheren Lohnkosten nicht mehr auf den internationalen Märkten erwirtschaften können, ob sie nun dort Textilien, Motorräder oder Auto-Bestandteile verkaufen wollen. Das ist für ein Land besonders dramatisch, das sechs von zehn Euros durch den Export heimischer Produkte ans Ausland verdient.
Wer ist aber schuld an diesem Marsch ins Unheil?
- Da sind an erster Stelle gewiss die Gewerkschaften zu nennen, die ständig überdurchschnittliche Erhöhungen gefordert und unter Streikdrohungen auch durchgesetzt haben. Das ist schlecht für die globale Konkurrenzfähigkeit, für die Steuern erwirtschaftende Wertschöpfung und für die Arbeitsplätze. Auf Grund der demographischen Entwicklung – zu wenig junge Österreicher konnten die vielen, noch dazu viel zu früh in Pension gehenden Babyboomer nicht annähernd ersetzen – ist die Arbeitslosigkeit aber dennoch als Folge nicht so dramatisch gestiegen, dass sie die Forderungswut der Gewerkschaften eventuell einbremsen hätte können. Immerhin ist sie jedoch in den letzten drei Jahren von 5,7 auf 6,9 Prozent gestiegen.
- Gleich dahinter an zweiter Stelle sind die Kollektivvertragsverhandler der österreichischen Wirtschaftskammer als Schuldige zu nennen. Sie haben nicht einmal ernstlich versucht, die Forderungen der Gewerkschaft auf ein leistbares Niveau herunterzubringen. Sie sind vor Drohungen mit Streiks immer gleich in die Knie gegangen und haben nie einen Arbeitskampf riskiert. Das mag zwar von vielen als positiv und typisch österreichisches "Nur kan Streit" gelobt werden. Das hat aber letztlich die Forderwut der Gewerkschaften nur noch mehr gesteigert, die sich ja unter Druck fühlen, den Arbeitnehmern die eigene Wichtigkeit zu vermitteln. Ist doch der Anteil der Arbeitnehmer, die Gewerkschaftsbetrag zahlen, ständig im Sinken. Die Hoffnung, dass die Rückkehr der SPÖ in die Regierung gleichzeitig auch den eng mit ihr verwobenen Gewerkschaftsbund zur Mäßigung bringt, wird zwar mancherorts gehegt, dürfte aber in Wirklichkeit unerfüllt bleiben.
- An dritter Stelle und ebenfalls fast gleichauf sind die Regierungen der letzten Jahre zu nennen. Denn sie haben sich sowohl bei den Pensions- wie auch den Beamtengehalts-Erhöhungen als viel zu großzügig erwiesen. Das hängt gewiss auch damit zusammen, dass Österreich seit längerem keinen starken und mutig um Sparsamkeit kämpfenden Finanzminister mehr hat und sogar schon seit fast zwanzig Jahren keinen Bundeskanzler, der die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge wirklich internalisiert hat. Daher waren einerseits immer die Pensionistenmassen als Wähler und die Beamtenmassen durch ihre innerparteiliche Schlagkraft in ÖVP und SPÖ wichtiger als die Rücksicht auf die leeren Staatskassen und die gesamtwirtschaftliche Beispielswirkung zu hoher Abschlüsse. Ist doch keine Gewerkschaft dazu zu motivieren, mit ihren Lohnerhöhungen schlechter abschneiden zu wollen als die Pensionisten oder Beamten.
Die Analyse der letzten Jahre und deren gefährliche Folgen sind eindeutig. Was aber bedeutet das für die Zukunft?
Theoretisch könnten diese Fehler der letzten Jahre durch zwei bis drei Jahre mit Nulllohnrunden relativ leicht weitgehend wieder gutgemacht werden. Nur wird es die nicht geben. Das traut sich die Regierung nicht einmal zu verlangen und das würden die Gewerkschaften aus ihrem Selbsterhaltungstrieb heraus total ablehnen. Glauben dort ja viele tatsächlich an den eigenen, ständig wiederholten Schmäh, dass man die Wirtschaft mit immer höheren Konsumausgaben auf Schulden aus der Depression herausholen könne – und vergessen dabei, dass auch von den höheren Konsumausgaben 60 Prozent ans Ausland fließen, und dass die Schulden von heute die noch schlimmere Krise von morgen sind. Die Geschichte vieler Länder zeigt, dass sich daraus unaufhaltsam eine ganz andere Kausalitätskette entwickeln wird, die etwa aus folgenden Stufen besteht:
- 1) Bei zu hohen Löhnen schrumpfen die Exporte.
- 2) Ohne ein Wachstum der Exporte kann es kein Wirtschaftswachstum geben.
- 3) Ohne Wirtschaftswachstum wird das Staatsdefizit noch größer.
- 4) Deshalb muss ein Staat entweder so kräftig sparen, dass alle vor Schmerz aufschreien, oder er muss immer mehr Geld für die Zinsen seiner Staatsschulden ausgeben (in Österreich betragen alleine die Zinszahlungen für früher aufgenommene Schulden – also ohne Rückzahlung – bereits mehr als ein Drittel des gesamten Defizits).
- 5) Deshalb werden Geldgeber zunehmend skeptisch einem solchen Land gegenüber und verlangen immer höhere Zinsen – oder borgen diesem Land schließlich gar nichts mehr.
Griechenland und Argentinien sind die spektakulärsten Beispiele für Länder, die diesen Weg bis zum bitteren Ende, bis zum Kollaps gegangen sind. In diesen beiden Ländern war dann eine überaus harte Sanierung notwendig, mit Zehntausenden Entlassungen und Halbierung der Pensionen. An diesem Ende passiert dann alles, was hierzulande derzeit noch völlig undenkbar erscheint.
Das Schlimmste: Im Gegensatz zur Vergangenheit ist heute weit und breit kein Politiker am Horizont, der das alles begreifen würde, der wie die Herren Milei oder Mitsotakis die Nerven hätte, den Kollaps zu überwinden und sich gegen alle Widerstände durchzusetzen. Österreich hat schon gar keinen Politiker, der den Bürgern frühzeitig erklären würde, dass eine Sanierung umso erträglicher ist, je früher man damit beginnt.
PS: Übrigens wird auch die sogenannte Benya-Formel, die von der Gewerkschaft als Begründung für ihre überzogenen Lohnerhöhungen ständig herangezogen wird, historisch unrichtig interpretiert: Wohl hat der ehemalige ÖGB-Präsident Benya Gewerkschaftsforderungen am Anfang oft mit der Addition "Inflation plus Produktivitäts-Gewinne" begründet, aber das, was am Schluss bei den Kollektivvertragsverhandlungen in seiner Zeit herausgekommen ist, war etwas ganz anderes: Die österreichischen Arbeiter schlossen meist einen Hauch schlechter ab als die deutschen und haben damit mitgeholfen, die österreichische Wirtschaft lange in der Erfolgsspur zu halten. Das ist anzuerkennen, auch wenn Benya kräftige Mitschuld am Desaster der Verstaatlichten Industrie in den 80er Jahren hatte, das dann zum Glück durch eine kräftige Privatisierung beendet worden ist, bevor es den ganzen Staat mit sich gerissen hätte.