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Wie Putin die Russen bei Laune hält

Wie Putin die Russen bei Laune hält

Täglich rund tausend gefallene oder verwundete Russen; durch ukrainische Partisanentaktik gesprengte Brücken auf den russischen Nachschubwegen; russische Sportler seit Jahren von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen; Hunderttausende junge Schlüsselarbeitskräfte ins Ausland geflohen; viele westliche Produkte nur auf teuren Umwegen und daher zu gewaltig erhöhten Preisen erhältlich; Auslandsreisen in viele Richtungen kaum mehr möglich, zeitweise Sperren des Moskauer Flughafens wegen ukrainischer Drohnenangriffe; schwere Drohnenangriffe auch auf sibirische Militärflughäfen; Rückkehr der Verherrlichung Stalins, eines der übelsten Diktatoren der Menschheitsgeschichte: Im Grund sind das alles ganz schlechte Nachrichten für die Einwohner Russlands. Und dennoch gibt es keinen nennenswerten innerrussischen Widerstand gegen den Krieg und gegen sein Weitergehen, auch wenn sich eine Mehrheit der Russen nach Frieden sehnt – aber nur nach einem Siegfrieden. Wie macht Putin das?

Das Geheimnis liegt, erstens, in der großen Armut der russischen Bevölkerung außerhalb der beiden großen Metropolen; es liegt, zweitens, darin, dass Putin es bis heute vermieden hat, dem Drängen der Generäle nachzugeben, auch Wehrpflichtige an die Front zu schicken; es liegt, drittens, darin, dass Putins Propaganda in der Bevölkerung den Glauben an einen totalen Sieg aufrechterhalten konnte, ohne zu verraten, worin der eigentlich bestehen soll; und es liegt, viertens, darin, dass der russische Machthaber den Soldaten gewaltige Entschädigungen zahlt, die für die ärmeren Regionen ein kleines Vermögen darstellen.

Das ist eine Rückkehr zu der Kriegsführung, wie sie in der Geschichte lange – vom Römischen Imperium bis ins 18. Jahrhundert – dominant gewesen ist, wie sie erst im 19. Jahrhundert überall durch die allgemeine Wehrpflicht ersetzt worden ist. Man zwingt die jungen Männer nicht durch Gesetz und Gewalt zum Kämpfen, sondern durch die Armut, sodass sie gerne ihr Leben für ein kräftiges Salär als Söldner auf Spiel setzen. Mit diesem Geld können sie vor allem im armen Osten eine Familie gründen oder das eigene Haus kräftig modernisieren – sofern sie heil nach Hause kommen. Das ist letztlich ein Glücksspiel auf Leben und Tod, eine modernere Abart des Russischen Roulettes.

Man kann nun streiten, ob diese Art der Rekrutierung moralischer ist als eine allgemeine Wehrpflicht oder nicht – jedenfalls ist sie bisher erfolgreich gewesen. Und sie hat vor allem in die armen Dörfer Russlands viel Geld gebracht. Schon bei der Unterschrift bekommt ein Soldat umgerechnet fast 17.000 Euro. Das sind rund 18 Mal so viel wie der durchschnittliche Monatsverdienst von 920 Euro. Und jeden Monat, den der Lohnkrieger überlebt, bekommt er rund 2300 Euro. Das ganz große Geld aber bekommt seine Familie, wenn er stirbt: Da entspricht die Entschädigungssumme rund 170.000 Euro, zusätzlich gib es eine Pension sowie bevorzugten Zugang des Nachwuchses zu Universitäten.

Die große Frage ist freilich: Wie lange kann Putin das finanzieren? Oder ist es nur gedrucktes Papier, das rasch an Wert verliert?

Nun, die Inflation ist mit über 7 Prozent mehr als doppelt so hoch wie in Österreich, aber das ist noch kein katastrophaler Wert. Die Geldentwertung wird vor allem mit gewaltigen Zinsen der Zentralbank von 21 Prozent unter Kontrolle gehalten, sodass die unglücklich-glücklichen Familien einen Großteil des Geldes vorerst gerne auf Bankkonten belassen, die sie offenbar für sicher halten. In manchen Regionen sind die Einlagen um mehr als 80 Prozent gestiegen. Gleichzeitig wird etliches in die Renovierung der Häuser in den Dörfern investiert.

Der große Nachteil so mörderischer Zinssätze: Die eigene Wirtschaft wird abgewürgt. Und es fehlen die jungen Männer, von denen so viele im Krieg oder geflohen sind.

Insgesamt droht Putin aber von der sozialen Front vorerst kein sonderlicher Widerstand. Der Tod so vieler junger Männer wird von den Durchschnittsrussen relativ stoisch in Kauf genommen – und eher als unglücklicher Ausgang eines finanziellen Glücksspiels angesehen als dem Regime in die Schuhe geschoben. Dieses vermeidet daher bisher um jeden Preis die Versendung von jungen Präsenzdienstleistenden an die Front. Allerdings scheinen die Versuche, Nordkoreaner als Kanonenfutter anzumieten, nicht mehr sonderlich weiterverfolgt zu werden. Nicht zuletzt, weil diese militärisch schlecht ausgebildet sind – oder weil der nordkoreanische Machthaber möglicherweise im eigenen Land problematische Folgen angesichts der menschenvernichtenden Kämpfe befürchtet. Hat doch in ihrem Fall mit Sicherheit das Regime den Großteil des Söldnerlohns eingestreift, sodass das Glücksspiel-Motiv nicht zutrifft.

Dadurch ist für die russische Kriegsführung inzwischen das Bestreben wichtig geworden, im Gegensatz zur eigenen Kriegs-Tradition mit Menschenleben etwas sparsamer umzugehen. Das hat auch zur eindeutigen Verschiebung der Kriegstaktik geführt. Russland konzentriert sich seit längerem auf Luftangriffe durch Bomben, Raketen und Drohnen, die die ukrainische Zivilbevölkerung zermürben und die ukrainische Infrastruktur kaputt machen. Der nun von den ukrainischen Diensten geortete baldige Großangriff der Russen an der Nordfront wäre der erste seit sehr langem. Zuletzt haben die Russen nur in größerem Abstand bisweilen ein Dorf im Osten erobert.

Schwieriger ist die Frage: Wie kann Russland ein Budget finanzieren, bei dem rund 40 Prozent in die Militärausgaben, also etwa auch in die erwähnten Todesgelder fließen? Am Anfang hat Putin das vor allem mit den in den Jahren vor dem Krieg – offensichtlich schon in heimlicher Vorbereitung auf einen solchen – angesparten Rücklagen aus den Öl- und Gasverkäufen finanzieren können. Diese sind inzwischen weitgehend aufgebraucht. Jetzt hängt alles davon ab, wie weit Russland weiter Energie exportieren kann. Das gelingt ihm Richtung China und Indien, in die zentralasiatischen Ex-Sowjetrepubliken und durch eine Schattenflotte von Schiffen dubioser Herkunft, die trotz aller Sanktionen russisches Öl und Gas in die Welt hinaus exportieren.

Dabei muss Russland jedoch einen deutlich niedrigeren Preis als den des Weltmarktes in Kauf nehmen. Dieser ist – dadurch? – in den Kriegsjahren ständig gefallen und liegt jetzt bei 62 Dollar. In den ersten Kriegswochen war er hingegen explodiert und hat ein paar Wochen über 110 Dollar ausgemacht. Allerdings: Verglichen mit der Lage ein Jahr vor dem Krieg ist er in etwa auf gleicher Höhe.

Daher wird für den Westen und die Ukraine viel davon abhängen, wieweit man diese russischen Exporte einbremsen kann. Während da Richtung China und in die Ex-Sowjetrepubliken wenig Chancen bestehen, so gelingen doch gegen die Schattenflotte etliche Erfolge. Denn es wird auch mit Satellitenhilfe zunehmend genau verfolgt, woher diese Schiffe kommen, beziehungsweise wohin sie liefern.

Sobald man das orten kann, drohen auch Drittländern westliche Sanktionen. Freilich: Diese Drohungen haben durch die chaotische Zollpolitik der USA viel an Wirkung verloren. Denn die US-Zölle haben ja einen ganz anderen Zweck: Sie sollen Importe in die USA teurer machen, weil Donald Trump glaubt, damit die Industrieproduktion im eigenen Land ankurbeln und das eigene Budgetdefizit reduzieren zu können.

Nicht viel weniger chaotisch ist aber auch die Politik der EU gegenüber dem Rest der Welt. Sie hat diesen gleich in zwei Richtungen umerziehen wollen: einerseits sollen sie sich den europäischen Klimazielen anschließen; andererseits wollen die EU-Länder mit ihren Lieferkettengesetzen diese Länder dazu bringen, von Europa gesetzte Standards in sozialer und ökologischer Hinsicht und in Hinblick auf die Arbeitsplatzsicherheit einzuhalten.

Wenn aber andere Zwecke wichtiger sind, dann verliert natürlich die Drohung von Handelssanktionen gegen Bezieher russischen Öls und Flüssiggases massiv an Hebelwirkung.

Die Russen wollen hingegen nur eines: Ihr Gas und Öl verkaufen. Da sie das noch dazu notgedrungen deutlich unter dem Weltmarktpreis machen müssen, sind sie zweifellos für die meisten Länder, die ebenfalls unter der Entwicklung der Energiepreise gelitten haben, zum weit angenehmeren Handelspartner geworden. Wenn es solche Vorteile gibt, tritt die Empörung über den russischen Einmarsch in der Ukraine rasch in den Hintergrund. Vor allem, wenn man ohnedies den Krieg primär nur als Problem der Ukraine und der Europäer ansieht. Und wenn der russische Präsident als Person eindeutig berechenbarer als der amerikanische gilt.

So dürfte es Putin gelingen, die Russen weiterhin bei Laune und bei der mehrheitlichen Unterstützung für einen Siegfrieden zu halten.