Warning: Illegal string offset 'portraitimage' in /var/www/lweb50/htdocs/science-blog.at/conf.php on line 67
Das Rütteln an der Demokratie

Das Rütteln an der Demokratie

Wenn es nicht zum Lachen wäre: Schnell vor dem Sommer wollte die Regierung husch-pfusch noch irgendeinen Erfolg in die Medien bringen – da verkündet man halt eine Einigung über ein Thema und zwar über die Schaffung einer neuen Bundesstaatsanwaltschaft. Dabei ist man sich noch gar nicht wirklich einig. Denn solange der entsprechende Gesetzestext nicht vorliegt, solange man sich also nicht über alles einig ist, ist man sich noch über gar nichts einig. Zwar hat die Frage, ob eine oder – wie jetzt verkündet – drei Personen an der Spitze stehen werden, die Parteien lange entzweit. Aber in Wahrheit ist das nur ein wenig aufregender Randaspekt. Dieser Pseudostreit sollte offenbar über etwas anderes, viel Ärgerlicheres hinwegtäuschen.

Denn auch wenn von der EU angefangen bis zu den Mainstreammedien alle nach der Schaffung einer solchen Bundesstaatsanwaltschaft rufen, so ist diese in Wahrheit nichts anderes als ein – weiterer – Abbau der Demokratie in diesem Land. Es ist ein Transfer der Macht weg vom Volk zu einer abgehobenen Juristenklasse. Nach außen wird so getan, als ob damit die Krise der österreichischen Justiz gelöst würde. Dabei wird sie nur verschlimmert. Zugleich amputiert sich die Regierung ein potenziell wichtiges Instrument der Außen- und Sicherheitspolitik.

Es geht dabei formal darum, dass nicht mehr der Justizminister die oberste Weisungsspitze aller Staatsanwälte sein soll, sondern ein völlig unabhängiges Juristengremium. Das klingt harmlos, das klingt sogar positiv, weil "unabhängig"  von vielen als positiv hingestellt wird.

Die Vorwürfe gegen die Neukonstruktion im Detail

Letztlich bedeutet die Reform aber nur eines: Die Staatsanwaltschaft wird von den Staatsbürgern unabhängig. Diese konnten bisher immer einen Justizminister beziehungsweise seine Partei zumindest am Wahltag durch Abwahl bestrafen, wenn die ihm unterstehende Staatsanwaltschaft schlecht gearbeitet hat. Schlecht arbeiten kann bei der Staatsanwaltschaft Folgendes bedeuten:

  1. Dass sie etwa zu nachlässig bei der Verfolgung von Verbrechen gewesen ist. Das ist besonders relevant geworden, seit die Staatsanwälte durch die Änderung der Strafprozessordnung die ganze Macht bei der Verbrechensverfolgung in die Hand bekommen haben, seit also die Polizei juristisch zu bloßen Handlangern der Staatsanwälte abgestuft worden ist, und seit die Untersuchungsrichter als weiterer Gegenpol de facto überhaupt abgeschafft worden sind (ohne deren verdienstvolles Engagement beispielsweise einst der von der SPÖ geschützte Massenmörder Proksch nie verurteilt worden wäre). Ein zu nachlässiges Agieren der Staatsanwälte ist etwa an einer Steigerung der Verbrechenszahlen ablesbar, wenn die Prävention nicht funktioniert;
  2. Aber auch, dass sie zu übereifrig ist. Dass sie etwa wie die berüchtigte WKStA viel mehr Menschen verfolgt, als berechtigt und legitim wäre, dass sie ihre Opfer dadurch existenziell schädigt, obwohl am Ende nur eine kleine Minderheit davon jemals gerichtlich verurteilt wird;
  3. Ferner, dass sie zu faul ist, dass sie also Jahre braucht, bis sie einen Fall vor Gericht bringt;
  4. oder dass sie eine zu schwere politische Schlagseite hat: Wieder ist vor allem die WKStA ein typisches Beispiel. Diese hat fast nur ÖVP- und FPÖ-Politiker verfolgt – noch dazu, wie man dann am Ende gesehen hat, fast immer zu Unrecht. Hingegen hat sie den eindeutig größten Korruptionsfall der Nachkriegsgeschichte nie vor Gericht gebracht, also die nachweislich hunderte Millionen Steuergeld verschlingenden Inserate aus dem Imperium der roten Gemeinde Wien zur Beeinflussung willfähriger Medien. Aber auch die Nichtnennung des migrantischen Hintergrunds von Straftätern bei der Information der Öffentlichkeit ist eine Form ideologischer Schlagseite der Staatsanwälte.

Für das alles haben die Wähler bisher wenigstens am Wahltag die Partei der jeweiligen Justizminister zur Rechenschaft ziehen können. Das haben bei der letzten Wahl die Grünen auch deutlich zu spüren bekommen.

Um nicht missverstanden zu werden: Diese vier Missstände bei der Staatsanwaltschaft sind nicht auf direkte Weisung des Justizministers eingerissen. Aber er hätte etwas dagegen tun können. Alma Zadic, die letzte in dieser Funktion, hat das jedoch nicht getan. Sie hat statt dessen ganz im Gegenteil den einzigen, der gegen diese Missstände angekämpft hat, nämlich den ihr unterstehenden Sektionschef Christian Pilnacek, genau deswegen verfolgt und unter lächerlichen Vorwänden suspendiert.

Darin besteht der wahre himmelschreiende Skandal um die österreichische Justiz und um das Schicksal jenes Mannes - egal, wie er schlussendlich zu Tode gekommen ist, ob durch Selbstmord (wie es anfangs die Polizei geglaubt hat und wie es angesichts der ungerechten Verfolgung auch für viele nachvollziehbar gewesen wäre) oder durch einen Unfall (der in seinem alkoholisierten Zustand nicht unwahrscheinlich gewesen ist, ein Zustand, der wiederum zweifellos auch Folge seines depressiven Frustes über den skandalösen Umgang mit ihm gewesen ist) oder durch Mord (wofür es absolut keinerlei Beweis gibt, was aber dennoch ständig Peter Pilz und die FPÖ anzudeuten versuchen).

Das Absurde an der nunmehr näher rückenden Schaffung einer Bundesstaatsanwaltschaft: Auch danach werden schlechte Staatsanwälte weiterhin so vorgehen können, auch danach werden die vier genannten Fehlentwicklungen möglich sein. Das einzige, was sich ändert: Es wird keine demokratische Kontrolle durch die Wähler mehr geben. Denn die Spitze dieser neuen Behörde muss sich, einmal bestellt, nie mehr der obersten Instanz der Rechtsordnung stellen, also dem Volk, von dem laut Artikel 1 der Bundesverfassung das Recht ausgeht – was künftig nicht mehr der Fall sein wird.

Je weniger Kontrolle ein Funktionsträger ausgesetzt ist, umso wahrscheinlicher wird es, dass er die Macht seiner Funktion missbraucht, dass er in völliger subjektiver Willkür zu agieren beginnt, dass seine persönlichen Vorlieben, Ideologien und auch Freundschaften eine Rolle bekommen. Diese Gefahr besteht künftig mehr als bei der bisherigen Konstruktion: Denn das letzte Mal, dass ein Justizminister eine Verfolgung abdrehen wollte, ist vierzig Jahre her. Es war in der rot-blauen Regierungszeit. Seither müssen alle Weisungen, die ein Verfahren abdrehen, veröffentlich werden – sonst würden schon irgendwelche verdienstvolle Beamte dafür sorgen, dass sie öffentlich werden. Das wäre politisch katastrophal für einen Minister. Hingegen kann das einem unabhängigen Bundesstaatsanwalt (oder dreien) völlig wurscht sein.

Das nationale Staatsinteresse

Dazu gibt es noch eine weitere große Gefahr: In manchen, wenn auch seltenen Situationen ist es im nationalen Interesse, auf eine Strafverfolgung zu verzichten. Um dieses außen- und sicherheitspolitische Interesse aber überhaupt zu kennen und verstehen, muss man eindeutig in der Bundesregierung sitzen, wo der Regierungschef, der Außenminister, der für die Geheimdienste verantwortliche Minister mit dem Justizminister vertrauliche Informationen austauschen können.

Das ist nicht nur eine abstrakte Gefahr. Das sollte sogar noch wichtiger genommen werden als zuletzt.

  • Da gab es den sehr realen Fall des syrischen Generals, der zum Westen übergelaufen ist, der dabei wichtige Informationen über das damalige und überaus blutrünstige Assad-Regime mitgebracht hatte, und dem die österreichischen Sicherheitsbehörden in Absprache mit westlichen Diensten zum Asyl und Untertauchen verholfen haben. Diese Hilfe war auch eine Gegenleistung dafür, dass diese ausländischen Dienste Österreich schon oft beim Aufdecken von Terroristen geholfen hatten! Rein rechtstechnisch war sie innerösterreichisch freilich ein Amtsmissbrauch und wurde anfangs von Staatsanwälten, einem Elefanten im Porzellanladen gleich, auch verfolgt.
  • Da gibt es den zum Glück bisher nur hypothetischen, aber jederzeit möglichen Fall, dass der russische Präsident oder der israelische Premier etwa wegen irgendeiner Panne in Österreich notlanden müssten. Dann müsste Österreich jeden der beiden festnehmen und an den Internationalen Strafgerichtshof ausliefern, ginge es streng nach dem Wortlaut des Gesetzes. Außenpolitisch wäre das aber für die Interessen der Nation zweifellos extrem dumm und schädlich. Nur: Ein Minister hat – auch vor dem Hintergrund der Konsensregel des Ministerrates – auf staatspolitische Interessen zu achten und würde das wohl nie tun. Einem oder mehreren unabsetzbaren Bundesstaatsanwälten sind diese Interessen jedoch egal. Sie können sich einfach stur auf den Wortlaut irgendeines Gesetzes berufen.

Der größte Einwand gegen eine noch größere Eigenständigkeit der Justiz auch auf Anklägerseite geht aber über konkrete Einzelaspekte hinaus. Schon in der Geschichte haben immer wieder Menschen, denen die Gerichtsbarkeit anvertraut war, diesen Auftrag schwer missbraucht. Letztlich ist der Adel mit all seinen Vorrechten ja einzig aus den beiden Aufgaben der Rechtssprechung und des Schutzes nach außen entstanden (sofern er nicht kriminell an die Macht gekommen ist). Die exklusive Macht der Rechtssprechung hat sich aber insbesondere im Inquisitionsprozess, wo Ankläger und Richter noch dazu in einer Person zusammenfielen, verheerend ausgewirkt bis hin zu Missbräuchen wie dem "Ius primae noctis" (also des Rechts auf den Beischlaf mit Bräuten vor deren Hochzeit). Dieser Machtmissbrauch hat letztlich zu den großen blutigen Revolutionen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert (etwa 1789, 1830, 1848, 1917, 1918) geführt und den Untergang des ganzen Feudalsystems ausgelöst.

Wenn die Justiz sich auch zum Gesetzgeber macht

Der Missbrauch der Justizmacht ist aber auch ein riesiges aktuelles Problem, wie etwa die folgenden Beispiele zeigen.

  1. So ist es das Gegenteil von Demokratie, dass in den USA über etwas so Grundlegendes wie Abtreibung nicht die Wähler, nicht einmal die Parlamente, sondern einzig ein Gerichtshof entschieden hat. Die Tatsache, dass der "Supreme Court" dabei einmal so und einmal so entschieden hat, ist überdies der beste Beweis, dass es – zumindest für weltliche Gerichte – keine absolute Gerechtigkeit gibt, welche die Richter nur irgendwo nachzulesen bräuchten, sondern dass Richter letztlich immer in einem hohen Ausmaß subjektiv, in diesen Fällen gemäß der jeweiligen subjektiven Ideologie, ihrer Welt- und Menschenanschauung entscheiden.
  2. Ein ähnliches drastisches Exempel – unter vielen anderen – ist die "Familienzusammenführung", die von europäischen Richtern ohne jeden Gesetzesbeschluss ermöglicht worden ist, und mit der sie Europa um Millionen Migranten aus dem islamischen Raum "bereichert" haben. Sie haben sich dabei in vorsätzlich rechtsverdrehender Weise bloß auf das in der Menschenrechtskonvention erwähnte "Recht auf Familie" stützen können. Dabei hatten mit tausendprozentiger Sicherheit die Väter der Menschenrechtskonvention eine solche Bedeutungsveränderung des "Rechts auf Familie" niemals im Sinn gehabt.

Wer Macht hat, übt sie auch aus. Dazu ist die Machtausübung fast immer zu verlockend und verführerisch. Und wer unkontrollierte, wer totale Macht hat, übt sie auch total aus und missbraucht sie. Ob in der Politik oder in der Justiz. Nur Menschen, nur Staatschefs, nur Richter, nur Staatsanwälte, die extrem demütig und selbstdiszipliniert sind, tun das nicht. Die sind aber extrem selten. Genau deswegen ist ja die Demokratie entstanden und hat sich als moralisch überlegen gezeigt.

Daher kann man nur hoffen, dass sich die Regierung auch weiterhin über die Details uneinig ist und es letztlich doch nicht zu einem neuen Justizstaat im Staat kommen wird. Die Hoffnung ist aber klein geworden.

PS: Auch wenn die Zahlen der neuen österreichischen Bundesstaatsanwaltschaft wie viele andere Details noch nicht fixiert sind, kann man über eines sicher sein: Die Sache wird neue Beamtenjobs, neue Budgets, neue Büros brauchen, mehr als bisher im Justizministerium. Das Gerede vom Sparen haben sie ja eh offensichtlich nie ernst genommen …

Ich schreibe in regelmäßigen Abständen Kolumnen auf der Nachrichten- und Meinungsplattform Exxpress.