Warning: Illegal string offset 'portraitimage' in /var/www/lweb50/htdocs/science-blog.at/conf.php on line 67
Geht die Anonymität des Internets zuende?

Geht die Anonymität des Internets zuende?

China aktiviert jetzt etwas, wonach man sich immer gesehnt hat und wovor man sich zugleich maßlos fürchtet: eine digitale ID. Das, was es bei Inanspruchnahme staatlicher Dienstleistungen in vielen Ländern, auch Österreich, schon länger gibt, wird dort nun auf jeden Internetzugriff ausgedehnt: Eine genaue Identifizierung des jeweiligen Users, entweder durch Fingerabdruck oder durch Gesichtserkennung, wird zur Pflicht bei jedem Internetzugang. Soll das auch nach Europa kommen?

Hunderte Male habe ich mir schon so etwas gewünscht, sooft ich gemerkt habe, dass wieder einmal jemand versucht hat, mich hineinzulegen, zu betrügen, sei es via Mail, sei es über irgendein Chat-Programm, sei es mittels eines Anrufes. Unzählige Male bin ich schon mit einer (leider nicht vorhandenen) Tochter konfrontiert worden, die ihr Handy verloren hat und dringend Geld von mir braucht, oder ist mir mitgeteilt worden, dass mein Bankkonto gesperrt werde, wenn ich nicht gleich alle meine Kontodaten preisgebe, oder wurde mir ein Millionengewinn versprochen, wenn ich vorher einige leider nötige Spesen bezahle, oder wurde ich anonym bedroht, weil ich den Islam als Gefahr ansehe, oder weil ich Impfungen als Segen ansehe. Jetzt sind sogar schon Rechnungen echter Firmen bei ihren echten Kunden eingetroffen, die eine echte Leistung erhalten haben – aber mit gefälschtem IBAN, wodurch irgendein Betrüger vom Bezahlen einer Rechnung profitieren könnte.

Und jedes Mal habe ich mir und viele andere Verwender irgendeiner Internet-Anwendung gewünscht, der Absender einer solchen Trick-Nachricht wäre eindeutig identifizierbar, sodass man nur noch der Polizei das Mail weiterleiten oder über die Nummer des Anrufers informieren müsste, und der Täter wäre identifiziert und gefasst. Damit würden die Belästigung und die allermeisten kriminellen Gefahren aus der Internet- oder Telefonleitung sehr bald aufhören.

Genau das wünschen sich Abermillionen von Menschen. Doch der Wunsch wird nicht in Erfüllung gehen. Da ist schon einmal die Hürde der Polizei, die wie jede Behörde am liebsten nach Gründen sucht, nicht tätig werden zu müssen. Sie nimmt nach bisherigem Usus Anzeigen eines Bürgers nicht elektronisch entgegen, sondern verlangt, dass man in einem Wachzimmer Anzeige erstattet. Worauf viele Hineingelegte meistens schon aufgeben, wenn der Schaden nicht allzu groß ist.

Die nächste Hürde, um solchen zum Massensport gewordenen Gaunereien entgegentreten zu  können, besteht darin, dass da meistens auch eine ausländische Adresse dahintersteckt und dass türkische oder nigerianische Sicherheitsbehörden zwar gerne gegen Regimekritiker vorgehen, aber ganz ungern gegen solche Betrüger im eigenen Land, wenn diese "eh" nur Opfer im Ausland zu bestehlen versucht haben.

Einmal angenommen, diese zuletzt genannten Probleme mit der eigenen und mit der fremden Polizei wären im Sinne der Verbrechensbekämpfung und des Schutzes der Opfer positiv gelöst. Dann sollte eigentlich nichts gegen eine solche Internet-ID sprechen. Dann würden jedenfalls die Verbrechen via Internet dramatisch zurückgehen, die in den letzten Jahren weitaus häufiger geworden sind als die vor einigen Jahrzehnten ständig an der Tagesordnung gewesenen Banküberfälle. Das gilt auch, wenn man die zuletzt modisch gewordenen Sprengungen von Bankomaten mitzählt.

Dennoch bin ich gar nicht sicher, ob eine solche Welt lebenswerter wäre. Es wäre zwar sicher extrem wünschenswert, wenn man jeden Betrüger, jeden Verbreiter gefährlicher Drohungen eindeutig identifizieren könnte, weil er eben ohne Fingerabdruck oder Gesichtserkennung gar keinen Zutritt zum Internet bekäme.

Aber – aber, wenn nur das große "Wenn" nicht wäre. Und das bedeutet: Eine solche obligatorische Internet-Identifizierung wäre nur dann ein Vorteil, wenn man von Staat und Polizei absolut nie etwas Ungutes befürchten müsste, wenn man in einem Staat lebte, in dem eine volle Meinungsfreiheit absolut garantiert wäre, also in einem Staat, in dem ich im Internet – natürlich genauso in der wirklichen Welt – jede Meinung vertreten kann, jeden Unsinn behaupten kann, den ich will. Solange ich niemanden konkret bedrohe, solange ich niemanden hineinzulegen versuche, um daraus etwa einen finanziellen Vorteil zu erzielen, solange ich kein Unheil anrichte und Schaden verursache, sollte ich mich keine Sekunde vor Polizei oder Staatsanwaltschaft fürchten müssen, sollte ich überall frei meine Meinung äußern dürfen.

Solche Staaten gibt es aber leider kaum, wie der genaue Blick beweist.

  • In Österreich wird die freie Meinungsäußerung durch Gesetze gegen "Hass und Hetze" eingeengt. Damit sind eindeutige Meinungsäußerungen durch einen unerträglichen Gummiparagraphen strafbar gemacht worden. Auch bei Äußerungen zum Koran und zu den im Islam gleichgestellten Hadithen muss man vorsichtig sein, obwohl darin zu Mord und Versklavung gegen Christen und Juden und sonstige "Ungläubige" aufgerufen wird, weil der Islam als Religion geschützt wird, obwohl er das bestenfalls in dritter Linie ist.
  • In Deutschland rückt die Polizei zu morgendlichen Hausdurchsuchungen und Festnahmen aus, nur weil jemand einen Politiker beleidigt hat.
  • Und in Großbritannien wurden nach einer inoffiziellen Zählung im Laufe eines einzigen Jahres rund 1000 Menschen wegen reiner Meinungsdelikte festgenommen.

In solchen Staaten ist es mehr als bedenklich, wenn der Staat zusätzliche Instrumente zur Überwachung in die Hand bekommt.  Dazu kommt die Gefahr von Missbrauch durch Organwalter, durch Beamte, die für den Staat handeln, die dadurch leichten Zugang zu den kompletten Daten einzelner Bürger haben, aber betrügerisch sind.

Mit anderen Worten, so positiv eine allgemeine elektronische Identifizierung in vielerlei Hinsicht wäre, so überwiegen vorerst die negativen Seiten. Da gilt dasselbe wie auch bei der zuletzt so heftig diskutierten Chat-Überwachung zur Verhinderung terroristischer Anschläge oder bei der Videoüberwachung im öffentlichen Raum.

Bevor das alles geschieht, bevor die ID-Identfizierung Pflicht wird, muss sichergestellt sein:

  1. Sämtliche Paragraphen, welche die Meinungsfreiheit einschränken, werden radikal abgeschafft.
  2. Weder Religionen noch sonstige Gruppen – etwa solche mit irgendwelchen spezifischen Sexualgewohnheiten – sollen künftig unter spezifischen Schutz gestellt sein.
  3. Personen des öffentlichen Lebens genießen keinen höheren Schutz gegen Ehrenbeleidigungen.
  4. Auch der kleinste Missbrauch solcher Befugnisse durch staatliche Organwalter etwa für persönliche Interessen ist extrem streng zu bestrafen.
  5. Die Pflicht zur Internet-ID gilt nur innerhalb des eigenen Staates und gegenüber Rechtsstaaten mit ähnlichen Regelungen. Sobald jedoch ein Mail, ein Chat, ein Anruf von außerhalb dieses Rechtsstaatenraums kommt, wird er für den Empfängermit einem deutlichen Warnzeichen kenngezeichnet.

Nur zusammen mit einem starken Bündel solcher strikter Maßnahmen darf eine Pflicht zur Internet-Identifizierung kommen. Nur so kann das Vertrauen der Bürger, in einem freien Staat zu leben, der in ihrem Interesse handelt, nicht nur verteidigt werden, sondern sogar gestärkt werden. Ansonsten würde hingegen das Misstrauen der Bürger dem Staat gegenüber noch mehr steigen.

Man soll sich keinem Zweifel hingeben: Dieses Vertrauen ist in den letzten Jahren stark gesunken. Dazu hat nicht zuletzt die überzogene Reaktion vieler Staaten auf Internet-Schwurbler beigetragen. Natürlich ist da unglaublich viel Schwachsinn verbreitet worden. Aber in einem freien Rechtsstaat müssen die Bürger das Recht haben, Unsinn jeder Art zu verbreiten. Und der Staat hat umgekehrt die Aufgabe, sich so viel Vertrauen zu erwerben, dass man seinen Informationen mehr glaubt als den Internet-Schwurblern, die etwa geheimnisvolle Chemtrail-Verbrechen wittern, die etwa von Millionen Opfern durch Impfungen schwadronieren, die etwa ständig eine Verschwörung der Bilderberger oder des Weltwirtschaftsforums "entlarven".

Es wäre dringend wichtig, unsere Freiheit durch die genannten fünf Punkte abzusichern, BEVOR die endgültige Deanonymisierung durch die elektronische ID kommt. Daher sollte wir dringend jetzt schon darüber diskutieren. Wir wollen, wir brauchen ein sicheres Internet, das nicht ständiger Verbrechensschauplatz ist. Wir wollen aber keinesfalls einen übergriffigen Staat, der immer mehr in unser Denken, Wollen und Handeln eingreift. Solange Europas Staaten diese Sicherheit nicht gewährleisten können, solange man fürchten muss, sie entwickeln sich so totalitär wie China, solange müssen wir weiterhin mit einem unsicheren Internet leben.