
Alaska ist gleich Jalta
Nicht das Zusammentreffen des amerikanischen und des russischen Präsidenten war die große Katastrophe. So übel es in vielen Aspekten war, und so sehr es auch eine Aufwertung des russischen Kriegsverbrechers bedeutet hat, der eigentlich nicht auf den Roten Teppich der westlichen Supermacht, sondern auf die Anklagebank eines neuen Nürnberger Prozesses gehört. Die Katastrophe bestand auch nicht einmal darin, dass es keine russische Bereitschaft zu einer Waffenruhe gibt. So schlimm das für die Menschen in der Ukraine auch ist. Die größte Katastrophe bestand viel mehr in den Worten von Donald Trump am Tag nach dem Treffen. Nur aus den Kommunikationen innerhalb des Westens flackert ein kleines und recht fragwürdiges Licht der Hoffnung.
Das flackernde Licht scheinbarer Hoffnung besteht in der unter den europäischen Westmächten nach der ersten Information durch Trump kursierenden Andeutung, dass – wenigstens – der Rest der Ukraine, also das, was diese nicht dem russischen Imperialismus überlassen muss, vom Westen kollektive Sicherheitsgarantien bekäme. Diese sollen ohne Nato-Beitritt so ausschauen wie der Artikel 5 der Nato.
Das ist eine ziemlich naive Formel. Denn ohne die Nato ist eine solche Beistandsgarantie nicht viel wert. Der Wert des Artikel 5 besteht ja in den engen militärischen Verflechtungen zwischen den Nato-Ländern, in gegenseitigen Truppenstationierungen, in integrierten Kommandostäben, in gemeinsamen Manövern, in der weitgehenden Integration der Geheimdienst-Arbeit, in ständigen Konferenzen, und letztlich im amerikanischen Atomschirm. Ohne Nato gibt es das alles nicht. Dann kann es wohl nur papierene Versprechungen geben.
Der zweite zwischen Trump und Putin angesprochene Eckstein ist ein "Gebietstausch". Offensichtlich ist da aber nur ein Tausch von ukrainischem Gebiet gegen ukrainisches Gebiet gemeint. Das heißt, die Russen würden sich irgendwo ein bisschen zurückziehen, bekämen aber dafür weitere, bisher nicht eroberte ukrainische Gebiete.
Solche Händel mit ukrainischem Gebiet liegen aber keinesfalls in der Kompetenz von Präsident Selenskyj, auch wenn er noch so unter Druck Trumps kommt. Die Aufgabe von ukrainischem Gebiet ist erstens durch die ukrainische Verfassung verboten. Und zweitens ist auch das ukrainische Volk wohl nicht bereit, dem etwa in einem Referendum zuzustimmen, sosehr es sich auch nach Frieden sehnt. Es hat erst unlängst Selenskyj die Zähne gezeigt und ihn zum Nachgeben gezwungen – bei der vom Präsidenten geplanten Unterstellung der Antikorruptionsbehörden unter eine Generalstaatsanwaltschaft (übrigens ganz nach Art der österreichischen Regierungspläne).
Sagt die Ukraine aber Nein zu einer solchen Demütigung, dann ist ziemlich klar, was Trump tun wird: Er wird die Ukraine öffentlich beschimpfen und ihr vorwerfen, selbst an ihrem Los schuld zu sein. Und vor allem wird er dann wohl bei den antirussischen Sanktionen nicht mehr mitmachen.
Das Verbrechen, das die damaligen Präsidenten der USA und Russlands einst in Jalta begangen haben, als sie viele Millionen Menschen in Mittelosteuropa ihrer Freiheit und nationalen Identität beraubt und für mehr als vier Jahrzehnte zu Sklaven Russlands gemacht haben, wird damit wiederholt: Nur diesmal sind halt die Ukraine und ihre Menschen das Opfer.
Damit ist eigentlich alles gesagt über den Gipfel von Alaska, der ein Gipfel des Zynismus gewesen ist. Der ukrainische Präsident Selenskyj darf jetzt in Washington nur noch zum Befehlsempfang antreten – und hoffen, dass er dabei nicht auch noch wieder wegen falscher Kleidung angeschnauzt wird. Was ja beim letzten Mal ausgerechnet der Vize eines Präsidenten getan hat, der nicht einmal imstande ist, bei Staatsterminen sein Sakko zuzuknöpfen.
Dieser Präsident hat sich wieder einmal voll durch billige Schmeicheleien des Russen einkochen lassen, sodass er ganz auf die Kleinigkeit vergessen hat, Putin zur Einstellung der Kampfhandlungen und zum Abzug aufzufordern. Gipfelpunkt der verlogenen Schmeicheleien war, dass Putin die Lieblingsbehauptung Trumps zur Ukraine ausdrücklich für richtig befunden hat: dass es nämlich nicht zum Krieg gekommen wäre, hätte damals Trump regiert. Seltsam nur, dass Putin genauso wenig wie Trump zu irgendeiner Begründung für diese Aussage imstande war. Er hat einfach eine Wahlkampfbehauptung Trumps unterstützt, er hat damit auch gleich – beweisfrei – den früheren Präsidenten Joe Biden zum Schuldigen am Krieg gemacht und sich den eitlen Trump psychologisch verpflichtet.
Jetzt liegt es an Europa, erstmals selbst die Verantwortung für den eigenen Kontinent zu übernehmen. Sonderlich bereit dazu scheint es freilich wider alle Beteuerungen aber nicht zu sein.
- Denn das kostet viel Geld.
- Denn ohne kräftige Sanktionen gegen Russland mit Unterstützung Amerikas ist Putin noch viel schlechter in die Knie zu zwingen.
- Denn die USA haben nun einmal die fortschrittlichsten Waffen anzubieten (soweit die Ukraine nicht selbst solche entwickelt hat).
- Denn russische Trolle betreiben sogar in hiesigen Internet-Foren ihre Lügen- und Desinformationskampagnen mit großer Intensität.
Gewiss: Niemand kann einen weiteren Meinungsumschwung Trumps ausschließen. Das haben wir ja schon oft erlebt. Wenn der Mann spürt, dass er in den Augen der Amerikaner nicht gerade gut abgeschnitten hat, ist auch noch eine Kehrtwende denkbar.
Sonst aber wird das Treffen von Alaska im August 2025 definitiv als eine Wiederholung des Treffens von Jalta im Februar 1945, als neuer Tiefpunkt, als Hexensabbat der Großmacht-Schacherei auf dem Rücken kleinerer Nationen in die Geschichte eingehen.
PS: Was ein klein wenig Hoffnung gibt, ist die neuerliche eigenständige Entwicklung einer neuen Waffe durch die Ukraine, die jetzt bekannt geworden ist: Das sind nach den Luft- und See-Drohnen sogenannte Erddrohnen, also unbemannte kleine Fahrzeuge (Quads), die, durch Künstliche Intelligenz oder Fernsteuerung gelenkt, in die gegnerischen Reihen eindringen und diese durch Maschinengewehrfeuer dezimieren können. Freilich bleibt offen, wie lange die Russen brauchen, bis sie geeignete Gegenwaffen auch gegen diese neue Waffe entwickelt haben.
PPS: Die Unfähigkeit von Trump und seinem Team hat sich auch in einem peinlichen Detail am Rand gezeigt: In einem Hotel-Drucker in Anchorage sind einem US-Medienbericht zufolge acht Seiten Unterlagen für die amerikanischen Teilnehmer des Gipfeltreffens zwischen US-Präsident Trump und Kremlchef Putin gefunden worden. In den von NPR veröffentlichten Unterlagen ist unter anderem ein detaillierter Zeitplan mit konkreten Besprechungsräumen des Treffens zu finden, die Ansprechpartner des US-Außenministeriums mit Telefonnummern, das Menü des geplanten Mittagessens und Mini-Biografien mit Fotos der Teilnehmenden und Aussprachehilfen zu ihren Namen.
PPPS: Manche Österreicher erinnern sich noch an die lächerlichen Vorwürfe der Opposition, dass die Regierung zu wenig tue, um im Ukrainekrieg zu vermitteln. Als ob irgendwer auf eine Vermittlung Österreichs gewartet hätte, als ob ein Aggressor des Typs Putin irgendwen außer den USA beachten würde, als ob ein neutraler Abseitssteher überhaupt von irgendjemandem ernst genommen würde. In den letzten Stunden konnte man den geringen Stellenwert Österreichs wieder einmal auch ganz konkret sehen, nämlich daran, dass zu der Information der Europäer nach dem Alaska-Treffen per Videokonferenz zwar der Präsident Finnlands eingeladen war, das weit weniger Einwohner hat als Österreich, hingegen niemand aus Österreich, weder Bundeskanzler noch Bundespräsident. Und auch die FPÖ ist trotz ihrer Moskauliebe, die fast alle anderen europäischen Rechtsparteien übersteigt, nicht von ihren russischen Freunden beachtet worden (obwohl sie einmal sogar bei einem Auftritt des ukrainischen Präsidenten in Wien das Parlament verlassen hat). Aber freilich: Finnland ist nicht mehr neutral, sondern relevantes und verlässliches Nato-Mitglied. In Finnland ist keine einzige Partei russlandfreundlich. In Finnland wissen alle, wo das Land steht, und von wo die Bedrohung kommt. Hat es doch schon einmal russische Soldaten auf seinem Boden erlebt. Eigentlich haben das auch zumindest die älteren Österreicher erlebt und müssten daher ebenso begreifen, worum es geht …