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Österreich, die Nato und die Schande

Österreich, die Nato und die Schande

Es war einer der klügsten Sätze des deutschen Bundeskanzlers Friedrich Merz: Russland habe die Ukraine nicht deshalb angegriffen, weil die nach Nato-Mitgliedschaft strebte, sondern weil sie kein Nato-Mitglied ist. Ebenso klug war der Kommentar des ungarischen Regierungschefs Viktor Orbán zum russisch-amerikanischen Ukraine-Gipfel: Wenn du nicht mit am Tisch sitzt, dann stehst du auf der Speisekarte.

Im Grund machen diese beiden Sätze alles klar, wie es um die Sicherheit Europas und insbesondere Österreichs steht. Das haben auch viele andere Länder begriffen – freilich nicht die Mehrheit der Österreicher.

Diese beiden Sätze erklären aber auch das Verhalten des amerikanischen Präsidenten Trump. Dieser ist offensichtlich gewillt, mit dem Territorium der Ukraine so zynisch umzugehen, wie 1878 und 1885 die europäischen Mächte in Berlin ohne Mitsprache der betroffenen Länder, ohne Rücksicht auf ethnisch-kulturelle-sprachliche Zugehörigkeiten die Grenzen am Balkan und in Afrika neu gezogen haben.

Zwar hat Trump schon mehrmals gesagt, dass die USA jeden Quadratmeter des Nato-Territoriums verteidigen würden. Aber die Ukraine ist eben nicht Nato-Mitglied. Sie wird daher von ihm bloß wie eine Schachfigur behandelt. Zwar hat Trump dem russischen Machthaber Putin "schwerwiegende Konsequenzen" angedroht, wenn er den Krieg in der Ukraine nicht beendet. Aber nachdem Trump schon über die Übergabe von Landgebieten geredet hat, wird Putin wohl keine Konzessionen machen.

Dabei wäre selbst ein Ende des Krieges entlang der bisherigen Frontlinien ein gewaltiger Triumph für Putin. Damit würde ein Millionen Opfer kostender und grundlos begonnener Eroberungsfeldzug als in Ordnung abgehakt werden.

Zwar hat Putin mehrfach davon geredet, dass er den Krieg (den er nur ungern so nennt), nur deshalb begonnen hätte, weil die Ukraine der Nato beitreten will. Aber er hat nie das Angebot der Ukraine akzeptiert, so wie Österreich 1955 auf einen Nato-Beitritt zu verzichten und de facto im Gegenzug für Garantien des Westens neutral zu werden, sobald das ganze ukrainische Gebiet wieder eine Einheit wird.

Der wahre Anlass, warum Russland sich in der Ukraine einzumischen begann, war überdies gar nicht ein Nato-Mitgliedschaftsantrag, sondern ein bloßer Vertrag – nicht einmal eine Mitgliedschaft – der Ukraine mit der EU. Auf beides hat jeder souveräne Staat völkerrechtlich aber das eindeutige Recht. Sonst ist er bestenfalls halbsouveräne Kolonie.

Aus diesem Grund und wegen der geographischen Nähe hat daher auch Europa viel mehr Verpflichtung, an der Seite der Ukraine zu stehen als die USA. Das gilt gerade dann, wenn Trump wirklich zu einem gemeinen Verrat an der Ukraine bereit sein sollte.

Europa muss die Ukraine vor allem im Eigeninteresse massiv unterstützen. Denn wenn wir wirklich Frieden wollen, dann können wir nicht hinnehmen, dass aus wirren historischen Mythen heraus – oder aus sonst irgendeinem Grund – ein Staat einem anderen ein riesiges Stück Land herausreißt. Denn mit der gleichen Argumentationskraft, wie sie die Russen gegenüber der Ukraine versucht haben, könnten die Tschechen sagen, dass sie im 13. Jahrhundert eine Zeitlang den Osten Österreichs beherrscht haben und daher Ansprüche auf diesen hätten; oder die Ungarn, weil sie den Osten Österreichs ebenfalls einmal besiedelt haben; oder die Bayern, weil andere Teile Österreichs einmal bayrisch gewesen sind; oder Italien, weil der Großteil Österreichs einmal Teil des Römischen Imperiums gewesen ist.

Ganz eindeutig sind alle diese historischen Argumentationen nichts als gefährlicher Mumpitz. Das sind sie auch bei den russischen Motiven. Es geht für Europa vielmehr ganz zentral darum, dass nie mehr ein europäisches Land auf die Speisekarte anderer Mächte kommt.

Um das zu verhindern, muss jedes europäische Land seinen Beitrag leisten. Auch Österreich. Denn alleine ist jedes Land zu schwach, um den Weg auf die Speisekarte zu verhindern. Das gilt auch für jene Länder wie Polen, die direkt an der Frontlinie zu Russland liegen und die daher ohnedies viel für ihre Verteidigung und die Europas tun. Es ist auch keinem polnischen oder baltischen Soldaten einzureden, er solle sein Leben dafür riskieren, dass die Österreicher sich in Sicherheit auf die faule Haut legen können. Was diese selber "Neutralität" nennen und für etwas moralisch Höherwertiges ausgeben. Dabei ist Neutralität im Angesicht einer gemeinsamen Bedrohung in Wahrheit eine ganz minderwertige und miese Einstellung und Verlogenheit. Im Angesicht eines amerikanischen Verrats noch viel mehr.

Dem österreichischen Schlawinertum ist vielfach die Überzeugung eigen, die anderen würden sich schon für die österreichische Sicherheit engagieren, die Österreicher könnten es sich gut gehen lassen und das Geld statt für eine gemeinsame Verteidigung für den aufgeblähtesten Wohlfahrtsstaat in der ganzen OECD ausgeben. Und den hat Österreich tatsächlich: Es gibt nämlich 31,6 Prozent des BIP (also seiner gesamten Arbeits- und Wirtschaftsleistung) für "Wohlfahrt", also nicht erarbeiteten Konsum, aus. Das übertrifft alle anderen Industrieländer.

Die politische Klasse der Republik ignoriert aber diese Schande. Denn sie glaubt, automatisch Wahlen zu verlieren, wenn sie die Wahrheit spricht. Zwar gibt es die Kleinpartei der Neos, die dies bisweilen zumindest ansatzweise versucht. Vor 25 Jahren war im Grund sogar die gesamte Bundesregierung für den Natobeitritt. Die FPÖ ebenso wie die ÖVP.

Nur die SPÖ, die größte Verliererpartei des Landes, ist seit vielen Jahren gegen einen Nato-Beitritt. Skurrilerweise war sie das bei den Verhandlungen mit Moskau im Jahr 1955 noch nicht gewesen. Damals sind die Sozialisten ganz im Gegenteil vehement gegen die Neutralität gewesen (wie übrigens jetzt auch Wolfgang Schüssel in seinem jüngsten Buch "Zuversicht" aus alten Protokollen nachweist).

Die früher neutralen Schweden und Finnen haben – trotz der mehr als 1300 Kilometer langen finnischen Grenze zu Moskau – hingegen genau gewusst, dass der Nato-Beitritt, dass die Beistandsgarantien der anderen Europäer und (hoffentlich auch weiterhin) der Nordamerikaner ein entscheidender Beitrag zu ihrer nationalen Sicherheit in turbulenten Zeiten sind. Nur in Österreich begreifen das die Hinterzimmerpolitiker nicht.

Neben der Sicherheit Österreichs geht es dabei aber auch um Moral. Es ist einfach nur noch widerlich, wenn man in Diskussionen immer wieder hört: "Warum sollen wir uns da anstrengen? Die anderen verteidigen uns eh."

Die letzten Tage haben aber auch noch einen ganz anderen, sehr starken Grund geliefert, warum Österreich der Nato beitreten soll. Der besteht im Projekt Donald Trumps, einen "Golden Dome" über den USA zu errichten. Dieser soll die USA vor Marschflugkörpern, ballistischen Raketen, Hyperschallraketen und Drohnen schützen, unabhängig davon, ob es sich um konventionelle oder nukleare Raketen handelt, unabhängig davon, ob sie vom Land, aus dem Meer, aus der Luft oder – gar nicht mehr so utopisch – aus dem Weltraum abgefeuert worden sind. Dass so etwas zumindest teilweise sehr gut funktioniert, hat schon Israel mit seinem "Iron Dome" bewiesen.

Die Europäer haben überhaupt noch nicht begriffen, was das bedeutet: Das ist der entscheidende Schritt in eine Zukunft, wo die USA überhaupt niemanden, keine Verbündeten, keine Freunde brauchen wollen. Das ist die einzig denkbare Realisierung dessen, was ein paar österreichische Dummköpfe meinen, wenn sie Österreich in eine Festung verwandeln wollen. Die amerikanische Politik, der auch bei den Demokraten wachsende Isolationismus, geht jedenfalls ganz eindeutig in diese Richtung. Das Ziel: Die Amerikaner können sich hervorragend selber schützen, sich für unverwundbar halten, sie brauchen niemanden.

Das ist der entscheidende Schritt zu einer Relativierung, zu einem Bedeutungsloswerden der ganzen Nato. Die Europäer müssten daher umgehend darüber nachdenken, wie sie sich selbst verhalten sollen. Auf die russische Seite wechseln, wie Ungarn es ungeniert tut, wäre weder moralisch noch klug. Ist doch Russland eine wirtschaftlich retardierte, wenn auch mit Rohstoffen gesegnete Diktatur.

Gewiss sollte Europa nicht die Nato aufkündigen, solang das nicht auch die Amerikaner tun. Europa, alle Staaten Europas sollte sich aber dringend auf eine Zeit vorbereiten, wo sie alleine stehen werden, weil die US-Bürger ein Engagement für Europa nicht mehr wollen. Dass es in diese Richtung geht, ist inzwischen eindeutig klar. Das kann auf zwei Wegen geschehen:

  • durch die Verwandlung der EU-Beistandspflicht in ein echtes milittärisches Bündnis (was gar nicht so viel Unterschied bedeutet);
  • oder durch die Verwandlung der Nato in ein rein europäisches Bündnis plus Kanada.

Es wäre für Europa – in welcher dieser Formen immer – jedenfalls genauso wichtig wie für die USA, ja sogar noch wichtiger, einen eigenen Luftschutz-Dome über Europa aufzuspannen.

Freilich gilt: Solange sich Frankreich weigert, sich fremdländischen Kommandoketten zu unterstellen, solange neutrale Staaten untätig am Rande stehen, droht das allerdings vorerst zu einer sehr suboptimalen Lösung zu werden.

Dass ausgerechnet die heutigen Freiheitlichen das in Hinblick auf Österreich torpedieren, wird zu ihrer großen Schande.