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Der Anti-Milei, der lieber „bei den Menschen“ ist

Der Anti-Milei, der lieber „bei den Menschen“ ist

Ein bisschen gar viel der Phrasen hat uns da FPÖ-Chef Herbert Kickl in seinem großen Sommerinterview geliefert, ein bisschen gar wenig konkrete wie auch wenig widerspruchsfreie Antworten – aber auch etliche kluge Aussagen. Freilich war der Moderator diesmal eindeutig überfordert oder zu wenig vorbereitet, um auch nur in einem Bereich dieser drei Varianten des Kickl-Auftritts nachstoßen zu können. Er hat zu sehr seine Fragen abgebetet, als das zu versuchen.

Als ein Mensch, der inständig auf die dringend notwendigen Reformen im Lande hofft, muss man vom Auftritt des Chefs der größten Partei des Landes freilich tief enttäuscht sein. Denn dessen ständig wiederholte Hauptbotschaft war der populistische wie inhaltsfreie Slogan von einer "Hinwendung zu den Menschen". Regieren besteht halt auch darin, den Menschen etwas zuzumuten, ihnen Führung zu geben. Um es personalisiert zu formulieren: Herbert Kickl hat sich endgültig als der Anti-Milei profiliert, als das exakte Gegenteil des argentinischen Präsidenten mit der Motorsäge, welcher damit ganz kräftig in den Sozialstaat hineingeschnitten hat, um das Land zu sanieren (was zumindest im ersten Jahr auch tolle Erfolge gebracht hat). Dennoch wird in der FPÖ Milei häufig als Vorbild genannt.

Als zweite Phrase sprach Kickl immer wieder von der notwendigen Änderung des "Systems". Da er aber nie klar sagte, was er mit "System" eigentlich genau meint, kann von den Kritikern Kickls die Verwendung dieser Phrase halt doch allzu leicht als gefährlich nahe zur Terminologie der Nazis hingestellt werden. Diese hatten mit Kampf gegen das System nichts anderes als die Abschaffung der Demokratie gemeint. Aber auch wenn man diese Formulierung anders und gutwillig zu interpretieren versucht, wurde man von Kickl enttäuscht. Denn bei den zwei eindeutig wirklich notwendigen Elementen einer "Systemänderung" kam keine einzige konkrete oder gar mutige Ansage: weder zum Stichwort Pensionen noch zum Problemkreis Föderalismus.

So zog sich Kickl zum Föderalismus auf die konkrete Frage, ob die Spitäler künftig ganz zum Bund oder ganz zu den Ländern gehören sollen, auf die billige Antwort zurück: Da solle man halt das Volk befragen. Wichtig sei nur, dass es "funktioniert". Das klingt zwar an sich gut, bringt aber noch überhaupt keine Antwort auf die eigentlich zentralen Fragen: was wie besser funktioniert, oder wie man das Gesundheitssystem für eine immer älter und daher immer öfter krank werdende Bevölkerung bei einer immer besseren, aber auch immer teureren Medizin finanziert, oder wie man mit der von Kickl gegeißelten Mitsprache der Ärztekammer oder der Sozialpartner umgeht, oder ob es einen kleinen Selbstbehalt geben soll oder wie man den Mangel an Ärzten behebt.

Auch beim Thema Pensionen und Gehälter geht Kickl dem wahren Problem aus dem Weg: Er wagte neuerlich nicht, die – in Wahrheit dringlicher als alles andere gewordene – Erhöhung des Pensionsantrittsalters zu befürworten. Statt dessen fiel ihm nur ein, dass man bei den Bezügen halt den Sektionschefs eine Null-Erhöhung verordnen solle, während aber den (besonders eifrig FPÖ wählenden) Polizisten von der im Vorjahr zugsagten Erhöhung keinesfalls etwas eingespart werden dürfe.

Eine Sektionschef-Nullrunde bringt freilich erst weit, weit hinter dem Komma eine winzige Einsparung. Dafür hat sich Kickl mit der Polarisierung zwischen Sektionschefs und Polizisten ganz im jahrzehntelang von der SPÖ praktizierten Stil als Zielgruppen-Populist bewiesen.

Populistisch ist auch Kickls Hinschlagen auf die österreichische Entwicklungshilfe. Dabei liegt diese weit hinter den seit sehr langem international vereinbarten Zahlen. Dabei hat Entwicklungshilfe heute vor allem die Bedeutung, den Drang zur illegalen Migration nach Europa zu reduzieren – würde sie im notwendigen Umfang erfolgen. Und das müsste eigentlich einer Anti-Migrationspartei am Herzen liegen (Deswegen ist Dänemark – das Land, das heute in Europa am schärfsten gegen diese Migration kämpft – auch bei der Entwicklungshilfe international vorbildlich).

Schlimm ist auch Kickls Haltung zur Teuerung. Da präsentierte er nämlich zwei überaus gefährliche Antworten als "Soforthilfen": einerseits eine Streichung der Umsatzsteuer auf Nahrungsmittel und andererseits eine Strompreisbremse. Denn beides würde alljährlich einen – durch ähnlich populistische Maßnahmen früherer Regierungen – schon schwer verschuldeten Staat viele weitere Milliarden kosten und endgültig auf den Krisenweg Frankreichs oder Griechenlands stoßen. Und noch schlimmer wird es, wenn Kickl das als eh nur vorübergehende "Erste Hilfe" gestalten will: Denn dann werden erst recht wieder die Preise explodieren und eine neuerliche Inflationsspirale auslösen, sobald man die Mehrwertsteuer wieder einhebt und den Strom nicht mehr subventioniert. Sollte die Strompreisbremse hingegen nur die Energiekonzerne treffen, dann würden uns diese Konzerne in Zeiten, da Österreich zu wenig Strom produziert, bald keinen Strom mehr verkaufen. Sind wir doch netto ein Stromimport-Land. In Zeiten von Stromknappheit im Winter wird etwa Tschechien dann anderswo viel mehr für seinen Atomstrom bekommen.

Traurig sei angemerkt, dass auch Kickl leider so wie die anderen Parteichefs den Unsinn mit dem Posieren für den Trailer am Beginn des Gesprächs mitgemacht hat. Das entspricht so gar nicht dem Image eines Kämpfers gegen ein "System".

Kickl hat aber auch drei erfreuliche und durchaus gegen den Strom gerichtete Punkte angebracht, die ausdrücklich zu loben sind:

  • So hat er die Förderung des unter Österreichs Boden liegenden Erdgases gefordert. Das wäre in der Tat möglich, das trauen sich aber seit vielen Jahren die jeweiligen Regierungen aus Angst vor irgendeiner dann entstehenden lokalen Anti-Gasförderungs-Bürgerinitiative nicht aufzugreifen (während über die zahlreichen Initiativen gegen die Windmühlen von Bund und vor allem Ländern erstaunlich kalt drübergefahren wird).
  • So hat Kickl zu Recht gegen Unterschiede im Prozentsatz der Pensionserhöhungen zwischen kleinen und größeren Pensionen argumentiert. Damit stellt er sich mutig gegen die anderen Parteien, die alle irgendwie von einer solchen Staffelung reden. Das wäre ein weiterer Schritt Richtung Einheitspension und würde dazu führen, dass die Menschen immer weniger motiviert sind, abgabenpflichtig voll zu arbeiten, wenn sie dann eh keine höhere Pension dafür bekommen. Freilich: Auch in den Jahren, als die FPÖ in der Regierung war, hat es solche unterschiedliche Staffelungen gegeben. Freilich: Kickls Ablehnung von sozialen Staffelungen bildete eine totalen Gegensatz zu Bemerkungen an anderer Stelle seines Sommergesprächs, etwa die zu den Sektionschef- und Polizisten-Gehältern, etwa sein Tränendrüsendrücken wegen armer Pensionisten, die im Winter im dicken Mantel in der Wohnung sitzen müssen, weil sie sich das Heizen nicht leisten können. Aber zu Kickls Glück wurden diese Widersprüche nie aufgezeigt.
  • So verlangt er, die "Kriminalisierung des CO2" zu beenden. Durch den Kampf gegen das CO2 erklären sich in der Tat sehr viele der heutigen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Freilich: Österreich hat nur wenig Spielraum, gegen die seit fast 30 Jahren durch verbindliche EU-Beschlüsse festgelegte Klimapolitik anzukämpfen. Aber es hätte welche.

In Summe freilich hat Kickl nicht wirklich überzeugen können, dass er mit seinen oft nicht sehr konsistenten und fast immer populistischen (also verantwortungsfreien und die Folgen ignorierenden) Gedanken und seinen polemischen Hassattacken ausgerechnet auf jene Partei, die er als Regierungspartner gewinnen will, wirklich zu einer guten Regierungsführung imstande ist. Im Grund ist Kickl der SPÖ in seinen sozial- und wirtschaftspolitischen Phrasen sehr ähnlich. Auf der anderen Seite hat er aber im ersten Fernsehinterview seit langem auch gute Akzente gesetzt. Und er ist jedenfalls bei weitem nicht jener Gottseibeiuns, der den Linken zufolge hinter einer Brandmauer abgeschirmt werden müsste.

Vielleicht täte daher Bundeskanzler Christian Stocker klug daran, sich an seinem einstigen Vorgänger Bruno Kreisky zu orientieren. Dieser hatte sich einerseits in regelmäßigen Abständen mit dem Obmann der oppositionellen ÖVP wie auch dem Chef der Wirtschaftskammer zu vertraulichen Gesprächen getroffen – und er hat andererseits die Opposition nicht dadurch aufgewertet, dass er ihr in seinen Auftritten viel Aufmerksamkeit eingeräumt hätte.