
Die Muppets aus der Botschafter-Residenz
Dass manche ehemalige Politiker wie Muppets vom Balkon die eigene Partei bekeppeln, sind wir seit den Alterstagen von Erhard Busek und Bruno Kreisky längst gewöhnt. Es amüsiert, es lenkt die Ex-Politiker vom Pensionsschock ab, es gibt ihnen das Gefühl, weiterhin wichtig zu sein, es ärgert die Nachfolger, es begeistert die Zeitungen und es wird sonst von niemandem so richtig ernst genommen. Ganz etwas anderes ist es aber, wenn das aktive Beamte gegenüber der eigenen Regierung in aller Öffentlichkeit tun, oder wenn das gar Botschafter tun, wie sie es zuletzt in einem "offenen Brief" getan haben. Dann wird das zu einem untragbaren Skandal.
Wenn sie mit der österreichischen Politik nicht einverstanden sind, dann sollten sie eigentlich nur unter folgenden drei Möglichkeiten wählen:
- die Kritik in internen Depeschen zu artikulieren, die ja immer verschlüsselt transportiert werden, nach außen aber kritische Töne zu verschweigen;
- nie eine eigene Meinung zu äußern und selbst im Smalltalk nur zwischen nichtssagend, neutral und Regierungslinie zu pendeln;
- oder einfach aus Protest zurückzutreten und den Dienst zu quittieren – danach können sie so viele offene Briefe schreiben und Interviews geben, wie sie wollen (und es jemanden interessiert).
Ansonsten aber gehört diplomatische Zurückhaltung zu den zwingenden Berufspflichten, ebenso etwa wie Beherrschung von Fremdsprachen, protokollarischen Regeln und perfekten Umgangsformen, ebenso wie Wissen über österreichische Kultur wie Geschichte und vieles andere mehr.
Diese Dienstleistung an der Republik, die sie nach außen zu repräsentieren haben, wird ja auch mit Superbezügen honoriert samt Extrazulagen für alles mögliche, vom Fernsehapparat bis hin zu teuren Privatschulen für die Kinder. Besonders aufwendig sind – neben den eigentlichen Botschaften – die Residenzen, in denen Botschafter und ihre Familie wohnen. Ich bin in meinem Berufsleben in vielen solchen Residenzen herumgekommen. Die meisten erinnern in ihrem repräsentativen Luxus an einstige Adelspalais. Viele sind jedenfalls eindrucksvoller als jene Wiener Villa, die einst den jeweiligen österreichischen Bundespräsidenten zur Verfügung gestellt worden ist. Heute hingegen gibt es nicht einmal mehr für den Bundespräsidenten noch eine Villa, geschweige denn für Bundeskanzler oder Minister. Bei den Botschaftern hat sich hingegen keine erkennbare Sparsamkeit durchgesetzt.
Dieser völlig übertriebene Aufwand bei vielen Botschaftsresidenzen ist ein Relikt aus monarchischen Zeiten, wo Botschafter einen König oder Kaiser zu repräsentieren hatten, wo ein Land das andere bei seinen Außenauftritten mit imperialem Gehabe übertrumpfen wollte.
Auf das wollen Diplomaten nicht gerne verzichten. An sich ist das verständlich. Dafür müssen sie – dafür müssten sie aber halt auch auf etliche Rechte verzichten, wie etwa das jedem Staatsbürger zustehende Recht auf öffentliche Bekundung von Kritik an der Republik. Dabei ist es letztlich egal, worum es geht. Im konkreten Fall war es ein massiv israelkritischer Text. In diesem wird von Österreich eine lange – von der Regierung aber abgelehnte – Reihe von Maßnahmen gegen den von einer arabischen Überzahl umgebenen Judenstaat verlangt und Außenministerin Beate Meinl-Reisinger wird vorgeworfen, nur "wohlgemeinte Worte zu formulieren", denen "keine entsprechenden Taten folgen".
Lassen wir die inhaltliche Frage beiseite, wieweit man das eindeutig angegriffene Israel jetzt für seine eventuelle Überreaktion im Krieg bestrafen soll, solange die Gegenseite noch immer nicht alle israelischen Geiseln herausgegeben hat; und solange niemand von Kriegsverbrechen der Alliierten spricht, die im – ja ebenfalls eindeutig vom Deutschen Reich verschuldeten – Zweiten Weltkrieg hunderttausende unschuldige Zivilisten in deutschen und österreichischen Städten durch Bomben getötet haben. Die also ebenfalls überreagiert haben.
Es geht einzig darum, dass Außenministerin Meinl-Reisinger jetzt eigentlich die beiden Botschafter abberufen sollte – nein: müsste. Das tut sie aber nicht, obwohl sie gerade den österreichischen Botschafter bei der EU zum Rücktritt gezwungen hat. Dabei hat dieser keine einzige Dienstpflicht verletzt – außer durch die private Benutzung seines Diensttelefons, wie das in Wahrheit aber auch viele andere machen. Er hat lediglich unter einem Pseudonym pornographische Texte verfasst, was eigentlich – bei aller inhaltlichen Widerlichkeit – sein gutes Recht ist, was aber offenbar eine verärgerte Ehefrau oder ein "Kollege" ausspioniert und an die Öffentlichkeit getragen hat, und wozu gleichzeitig linke Medien die skurrile Verschwörungstheorie verbreitet haben, dass der Mann dadurch erpressbar geworden wäre.
Wie man auch immer zu dieser Causa steht: Es kann überhaupt kein Zweifel sein, dass das Delikt dieser beiden Botschafter mit einer pointierten Regierungskritik ärger gewesen ist. Sie haben sich auch nicht hinter einem Pseudonym versteckt, also ihren beruflichen Raum verlassen; und sie haben die österreichische Außenpolitik kritisiert, also ihr eigentliches Berufsfeld.
Warum handelt Meinl-Reisinger in diesem Fall nicht? Etwa gar, weil es sich um zwei Frauen handelt, und weil Frauen sich im Gesellschaftsbild der Neos mehr leisten dürfen als Männer? Oder hat sie Angst, weil auch zwei Ex-Außenminister (neben etlichen, meist linken Ex-Diplomaten) unterschrieben haben? Das waren einerseits der 92-jährige SPÖ-Mann Peter Jankowitsch und andererseits Benita Ferrero-Waldner, die nicht gerade zu den hervorragendsten in der Reihe der ehemaligen ÖVP-Außenminister zählt. Das ist jedenfalls keine so eindrucksvolle Riege, dass sie der aktuellen Ministerin Angst machen müsste. Das wäre sie vielleicht erst, wenn man auch die Namen Schüssel oder Kurz darauf fände. Aber selbst dann hätten sich aktive Botschafter genauso mit Regierungskritik zurückzuhalten.
Bei den beiden unterschreibenden Botschafterinnen handelt es sich um jene in Libyen und Jordanien. Das sind beides arabische Länder, wo sie naturgemäß ständig mit israelfeindlichen Äußerungen konfrontiert sind. Da ist es natürlich bequem, sich auch auf diese Linie zu begeben. Nur: Ihre Zentralaufgabe, also den österreichischen Standpunkt zu vertreten, können sie da nicht mehr glaubwürdig wahrnehmen! Da können sie ihren dortigen Gesprächspartnern im Grund nur noch sagen: "Ihr habt ja so recht, aber die Blöden in Wien trauen sich nicht, gegen Israel vorzugehen; Die Regierung ist offenbar noch immer aus schlechtem Gewissen wegen der Verstrickung vieler Österreicher vor 80 oder 90 Jahren in den Nationalsozialismus so feige."
Jedenfalls waren österreichische Beamte früher viel besser darin trainiert, sich zurückzuhalten: So erinnere ich mich an einen langen Abend in der österreichischen Botschaft in Rom, an dem eine Wiener Journalistendelegation über alles mögliche debattierte und ich sehr oft in Konfrontation mit einem SPÖ-nahen ORF-Journalisten geriet. Der Botschafter saß scheinbar unbeteiligt dabei – flüsterte mir nur bei der Verabschiedung seltsamerweise zu: "Ich bewundere ihren Mut." Offenbar hat es in der Kreisky-Zeit selbst in Privatgesprächen für einen Diplomaten unzumutbaren Mut erfordert, eine Meinung zu haben.
Noch strenger ging es in k. und k. Zeiten zu: Da durften sich Offiziere nicht einmal an den (auch damals schon streng geheimen) Wahlen beteiligen. Der allgemeine Konsens war: Sie hatten Befehle zu erfüllen und keine Meinung zu haben oder Partei zu ergreifen. Was man ja auch in der Wahlzelle täte.
PS: Es ist übrigens ziemlich rätselhaft, warum Österreich noch einen eigenen Botschafter für Libyen akkreditiert hat, selbst wenn die Botschafterin meist nicht mehr dort ist. Denn die dortige Regierung kontrolliert nur noch die Umgebung der Hauptstadt Tripolis. Denn der Betrieb einer Botschaft in jenem Land ist ja nur unseliges Erbe Bruno Kreiskys und seiner Liebe zum Terror-Paten Muammar al-Gadhafi. Denn der Großteil Libyens wird von General Haftar kontrolliert, von dessen Küsten auch ein großer Teil der Schlepperboote Richtung Europa abgeht. Das würde Beziehungen der europäischen Staaten zu ihm viel wichtiger machen – nicht zuletzt, um ihn zu bestechen, die Schlepper zu stoppen, wie einst Italien Gadhafi bestochen hatte. Aber statt dessen haben die Diplomaten den EU-Migrationskommissar Brunner zurückgepfiffen, als er mit der Haftar-Administration genau über die Schlepperei diskutieren wollte …
Ich schreibe in regelmäßigen Abständen Kolumnen auf der Nachrichten- und Meinungsplattform Exxpress.