
Die Kirche als Vorbild für die Politik?
Gewiss gab es auch in der römisch-katholischen Kirche schon Fehlentscheidungen. Aber der nun vor der Inthronisation als Wiener Erzbischof stehende Josef Grünwidl dürfte nach allem, was man über ihn weiß, keine solche Fehlentscheidung werden. Das darf man mit Fug und Recht vor allem im Vergleich zu den sonstigen Namen sagen, die da zuletzt an klerikalen Gerüchtebörsen kursiert sind. Aber befassen wir uns nicht mit Einzelpersonen, sondern mit etwas viel Grundsätzlicherem: Das ist das kirchliche Verfahren, wie es zu dieser Entscheidung gekommen ist.
So lange Interregna halten viele in der Politik nicht für möglich. Dabei gibt es durchaus gute Erfahrungen mit bloß geschäftsführenden Regierungen. Das einzige, was solche Regierungen in der Regel nicht können, ist, Gesetze durchs Parlament zu bringen. Aber es gibt Schlechteres für ein Land, als wenn es ein paar Monate einmal keine neuen zusätzlichen Regeln, Verbote, Vorschriften und Gesetze gibt. Abgesehen davon überlädt uns ohnedies die EU auch in solchen Phasen ständig mit immer neuen Richtlinien und Verordnungen; und die sind eigentlich immer des Teufels, sobald die Union glaubt, sich auch außerhalb ihrer einzigen wirklichen Existenzberechtigung, also außerhalb des Binnenmarktes, betätigen zu müssen (natürlich hätte eine Europäische Union auch im Bereich der Verteidigung eine große Existenzberechtigung, der aber kommt sie bisher in keiner Weise nach).
Zurück zu der Art, wie die Kirche Personalbesetzungen vornimmt. Sie nimmt sich dafür oft enorm viel Zeit, damit sie in Ruhe entscheiden kann. Und sie hat zugleich die Abläufe auch streng formalisiert und damit auch ein wenig professionalisiert. So spielt dabei insbesondere der Nuntius als Vertreter des Papstes eine wichtige Rolle. Wie ein Head Hunter fährt er durch die Lande, schaut sich Kandidaten an und hört vor allem viele Stimmen, die einzelne Kleriker als kommende Bischöfe empfehlen und von anderen abraten. Aber auch der Nuntius kann nur Vorschläge machen, wenn er meist drei als würdig empfundene Kandidaten auflistet.
Damit ist nämlich noch gar nichts entschieden. Im Vatikan gibt es ein eigenes "Ministerium", das sich neuerlich lange mit den Kandidaten befasst, das nachschaut, ob in deren Lebensläufen Probleme versteckt sein könnten, ob ein Bischof nicht zu weit nach links oder rechts abweichen könnte. In dieser Phase kommen in Rom auffallend oft Bischöfe des Landes zu vertraulichen Besuchen vorbei, die nochmals nach ihren Eindrücken gefragt werden, die umgekehrt auch oft Stimmung für einen in ihren Augen Geeigneten zu machen versuchen. Es wäre beispielsweise sehr überraschend, wenn Christoph Schönborns Empfehlungen bei der Wahl seines Nachfolgers nicht intensiv gehört worden wären. Hat er doch in der Weltkirche ein exzellentes Standing. Ist doch Grünwidl einer seiner engsten Mitarbeiter gewesen. Und hat der abgehende Bischof doch vielleicht das am wenigsten eigennützige Interesse, möglichst gute Vorschläge für die Zukunft nach ihm zu machen.
Zu allerletzt ist es aber immer der Papst selber, der als absoluter Herrscher wie in jeder Frage letztlich alleine entscheidet. Und das ist nicht überholt, sondern gut und richtig. Das relativiert den Einfluss aller Wichtigmacher, aller egoistischen Teilinteressen ganz entscheidend.
Der Papst tut aber in aller Regel gut daran, wenn er sich auf die Zuarbeit all der Genannten stützt. Jedenfalls hat Johannes Paul II. – obwohl vielleicht der wichtigste und charismatischste Papst der letzten hundert Jahre – der österreichischen Kirche und speziell der Erzdiözese Wien viel Kummer bereitet, als er im Fall Groer an der gesamten Zuarbeit vorbei eine auf subjektiven Einzeleindrücken beruhende Entscheidung im Alleingang getroffen hatte.
Die Wahrscheinlichkeit suboptimaler Entscheidungen ist in der Politik jedenfalls viel größer. Das ist dort vor allem schon deshalb der Fall, weil man sich in der Politik fast nie genug Zeit nehmen kann. Und weil dadurch auch kein professionelles Head-Hunting möglich ist, also die Vor- und Aufbereitung einer Personalentscheidung durch neutrale und erfahrene Experten, welche die Kandidaten und ihre Lebensläufe in Ruhe prüfen.
Man denke nur,
- in welcher Schnelligkeit oft Entscheidungen über Minister-Besetzungen getroffen werden müssen;
- wie schwierig es da ist, eine ruhige Bewertung vorzunehmen;
- welcher Druck auf einen Parteiobmann ausgeübt wird, wenn er eine Regierungsmannschaft zu besetzen hat;
- wie wenig er auf die personelle Qualität oder gar Charisma schauen kann, wenn Bundesländer, Bünde, Gewerkschaften, Parteiflügel, Geschlechter massiv im Sinne ihrer jeweiligen Machtinteressen lobbyieren.
Mir bleibt ewig in Erinnerung, was mir einst ein Politiker über seine eigenen Erfahrungen berichtet hatte. Er bekam eines Morgens einen Anruf mit der Frage, ob er um 11 Uhr (vormittag) Zeit hätte. "Denn da ist Regierungsangelobung und wir brauchen noch einen Staatssekretär." Da mein Gesprächspartner nach kurzem Überlegen abgelehnt hat, kann man sich ausrechnen, dass der nächste – oder die nächsten – noch weniger Zeit zum Nachdenken hatte.
Was fast noch schlimmer ist: Vielfach werden Menschen Minister, die ein von ganz anderen ausgehandeltes Koalitionsprogramm umzusetzen haben, mit dem sie in manchen Fragen eigentlich so gar nicht einverstanden sind.
Gewiss: Eine Demokratie ist nun einmal durch sich ständig wechselnde Ströme von Meinungen und Richtungen gekennzeichnet. Das ist ein klarer Gegensatz zu der Gehorsam verlangenden hierarchischen Struktur der katholischen Kirche, die sich leichter tut, die Auswahl führender Angestellter zu professionalisieren und aus Erfahrungen zu lernen.
Dennoch sollten Parteien, Parteichefs zumindest versuchen, daraus zu lernen, etwa ständig eine professionalisiert ausgearbeitete Kartei von durch Head Hunter ausgesuchten Mitarbeitern zu haben, etwa alles zu tun, um nicht unter Zeitdruck zu geraten, auch wenn die Medien wegen der langen Nachdenkfrist stänkern. Aber es kann überhaupt keinen Zweifel geben, dass sich das am Ende des Tages auszahlt.
Das Allerschlechteste aber ist, wenn Personalentscheidungen auch endgültig durch gesetzlich zusammengesetzte Gremien "objektiviert" erfolgen, wenn also nicht der jeweilige Chef die freie Hand, das letzte Wort und damit auch die volle Verantwortung für Personalentscheidungen hat. Dann passiert zwangsläufig nämlich das, was in Österreich eingerissen ist: dass am Ende immer öfter Entscheidungen durch Gerichte getroffen werden. Und die sind dazu die Allerunfähigsten. Die halten etwa – wie gerade ein aktueller Fall gezeigt hat – die Zahl der Dienstjahre für das entscheidende Kriterium. Da können dann nie spannende Junge zum Zug kommen, da wird dann der persönliche Eindruck, die Ausstrahlung, die Kreativität, das Charisma irrelevant.
Quer durch die Geschichte eindeutig ist jedenfalls, dass die Entscheidung über Personen die schwierigsten und folgenreichsten sind.
PS: Bei allem Lob auf die kirchliche Erfahrung: Sehr unprofessionell ist es aber zugleich, in Wien einen Nuntius zu haben, der nicht Deutsch kann und der daher nie unmittelbare Informationen sammeln kann. Das macht dann die Weg nach Rom umso wichtiger.