Der Papst, Österreich und die Kulturblase
Es ist nur scheinbar bloß eine weitere jener Belanglosigkeiten, wie sie sich täglich in den Feuilleton- und Tratsch-Seiten der Medien häufen. Diese Belanglosigkeit ist aber keine, denn die Liste der zehn Lieblingsfilme von Papst Leo XIV. sagt viel über diesen Papst aus. Und sie ist noch viel mehr für Österreich hochinteressant.
Die Liste der Filme, die Leo XIV. dabei besonders ans Herz gewachsen sind, zeigt ein – natürlich – stark amerikanisch gefärbtes Film-Interesse des amerikanischen Papstes. Darin mischen sich Holocaust-Dramen, verfilmtes Familienglück und Streifen mit einer religiösen Dimension wie "Ist das Leben nicht schön?" aus 1946. In diesem Kinderfilm spielt James Stewart einen Mann, der von seinem Schutzengel davon abgehalten wird, sich das Leben zu nehmen: eine Geschichte über Hoffnung und göttlichen Beistand.
Robert Redfords Regiedebüt "Eine ganz normale Familie" aus 1980 behandelt den Zusammenbruch einer wohlhabenden Familie aus Illinois (der Heimat von Leo XIV.) nach dem Tod eines Sohnes und dem Suizidversuch des anderen. Das Drama beschreibt den schwierigen Weg zurück zur Hoffnung.
Auch ein italienischer Klassiker findet sich unter den Lieblingsfilmen des Papstes, nämlich "Das Leben ist schön". Diese italienische Tragikomödie zeigt einen jüdischen Buchhändler, der seinen Sohn im Konzentrationslager mit seiner Fantasie vor den Schrecken der Nazis schützt. Der von den Kritikern hochgelobte Film vereint auf einzigartige Weise Humor sowie Holocaust-Drama und wurde mit drei Oscars ausgezeichnet.
Was Österreicher aber besonders interessieren sollte: Im Spitzenfeld des päpstlichen Interesses findet sich auch ein Film, der nicht nur zur Gänze in Österreich spielt, sondern der auch eine überaus positive Facette der angeblich so verlogenen österreichischen Identität zeigt. "Meine Lieder – meine Träume" von Robert Wise aus 1965 basiert auf dem Musical "The Sound of Music" von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, das die Geschichte der österreichischen Klosterschülerin Maria (gespielt von Julie Andrews, die ich noch zwanzig Jahre später in dieser Rolle in einem New Yorker Theater sehen durfte) zeigt. Die Handlung: Maria war als Gouvernante zu sieben Kindern eines verwitweten Adeligen geschickt worden, heiratete nach etlichen Turbulenzen den Vater, einen hochdekorierten Offizier der einstigen österreichischen Kriegsmarine, und floh in den Märztagen des Jahres 1938 mit ihrer neuen Familie, die inzwischen zu einem Gesangskollektiv zusammengewachsen war, über die von ihr geliebten Berge vor den Nazis.
In Österreich habe ich nie von diesem Musical gehört, bis ich es bei kurzen USA-Besuchen gleich dreimal in irgendeinem Fernsehsender und dann auf der Bühne gesehen habe. Das österreichische Desinteresse macht fassungslos. Warum lieben im Gegensatz zu den Österreichern die Amerikaner diesen Film so innig? Warum bekommen die Österreicher einen solchen Film, in dem ihre Vorfahren als Nazi-Gegner zumindest überwiegend einen überaus positiven Eindruck machen dürfen, nie oder fast nie zu sehen? Immerhin beruht er weitgehend auf historischen Fakten rund um die Familie Trapp, wie es Birgit Mosser-Schuöcker und Gerhard Jelinek in einer ausführlichen Arbeit nachgewiesen haben. (Ihre penible Quellenarbeit zeigt zugleich aber auch, dass etliche Details des Musicals nicht stimmen: So war die singende Trapp-Familie zufällig auf Tournee in den USA, als die Nazis in Österreich einmarschierten, wo sie dann als Nazi-Gegner nach dem Anschluss gleich blieben; daher ist die Musical-Flucht über die Berge nicht historisch – aber freilich: Nirgendwo klingt "Edelweiß" schöner als in den österreichischen Alpen …).
Aber warum wird dieser Film hierzulande fast nicht gezeigt? Warum hat die jetzige, aus Holland stammende und von den Grünen in ihrer Regierungszeit – nach Hinauswurf des erfolgreichen, aber politisch offenbar unpassenden Volksopernchefs Robert Meyer – inthronisierte und seither primär an der eigenen Selbstdarstellung interessierte Volksoperndirektorin das Musical aus dem Programm des Hauses am Gürtel geworfen?
Die Antwort ist ernüchternd: Der Film passte nie in die dreimalige Geschichtsumschreibung, welche die Nazizeit nach ihrem Ende in Österreich erfahren hat (während dieser Ideologiekrampf in den USA nie relevant gewesen ist):
- Zuerst wurde nach 1945 die NS-Zeit fast völlig ausgeklammert beziehungsweise wurde nur als verschwommene Hintergrund-Folie verwendet. Im Vordergrund standen damals der Kampf Österreichs um Freiheit (von der alliierten Besatzung), um die Rückkehr der Kriegsgefangenen (aus Sibirien) und um den Wiederaufbau (siehe die gerade wieder vielfach in Erinnerung gerufene Eröffnung der neuaufgebauten Staatsoper). Für den Wiederaufbau hat man dringend auch die ehemaligen Nazis benötigt und – bis auf die strafrechtlich Verurteilten – auch herangezogen, um das Land wieder in Gang zu bringen. Da hat der Verweis auf jene Österreicher nicht gepasst, die 1938 nicht im Lande bleiben konnten.
- Dann kam die Ära des Bruno Kreisky, der erkannt hat, dass er für seine absolute Mehrheit auch die Unterstützung der Ehemaligen braucht, weshalb er mit der damals noch sehr braunen FPÖ unter einem ehemaligen SS-Offizier gepackelt hat. Deshalb hat er in einer seiner Regierungen nicht weniger als vier einstige NSDAP-Mitglieder gleichzeitig gehabt.
- Und schließlich ging es in der Ära Sinowatz und Vranitzky in eine um 180 Grad andere Richtung. Da wurde aus rein parteipolitischen Wahlkampf-Motiven Kurt Waldheim (zu Unrecht) von verbalen, aber viele Jahre zu spät gekommenen "Widerstandskämpfern" zu einem ehemaligen Nazi und Kriegsverbrecher gestempelt. Da wurden de facto alle Österreicher, die die NS-Zeit überlebt haben, zu Mittätern der Nazis gestempelt. Da wurde – das einzige Positive an jener Ära – erstmals der vertriebenen Juden gedacht. Da wurde intensiv nach sozialdemokratischen Widerstandskämpfern gesucht (aber weitgehend erfolglos).
Bis heute wurde und wird hingegen bewusst verschwiegen, dass es einen katholisch-österreichischen Widerstand samt Emigration gegeben hat. Das passt überhaupt nicht ins Bild der sozialistischen Geschichtsumschreibung, die zumindest an der Zeitgeschichte der Uni Wien ab den 80er Jahren komplett in die Hände deklarierter Linker gekommen ist (und die sie wohl auch nicht mehr aus diesen auslassen werden, hat die SPÖ – und ihre grüne Tochter – doch jedes Interesse, dass es zu keiner kritischen und unabhängigen Analyse des Verhaltens der Sozialdemokraten in den Zwanziger, Dreißiger und Vierziger Jahren kommt).
In diese Geschichtsmanipulation passt halt die Geschichte der katholisch-konservativen-österreichisch-heimatverbundenen Trapp-Familie überhaupt nicht hinein. Daher tut man das Musical infam als kitschig ab (als ob nicht jede Darstellung historischer Episoden in Musical oder Oper durch schöne Musik die wahre Dramatik emotional relativieren würde). So wird ja auch in der heute komplett von Linken beherrschten staatsoffiziellen Geschichtsmanipulation verschwiegen,
- dass manche Sozialdemokraten auch noch nach 1945 und damit viel länger als die ÖVP und ihre Vorläufer an der Anschluss-Idee festhielten:
- dass die Sozialdemokraten der Zwischenkriegszeit keine Demokraten, sondern ausdrückliche Anhänger einer "Diktatur des Proletariats" gewesen sind;
- dass viele Sozialdemokraten, sofern sie keine Juden waren, wider alle Fakten das Nazi-Regime als gleich schlimm wie den österreichisch-patriotischen Ständestaat dargestellt haben,
- dass sie – sogar bis heute bestehende – Denkmäler errichtet haben, die eine Kontinuität des Faschismus von 1933 bis 1945 fingieren.
Und noch weniger passt den Geschichtsumschreibern und der linken Kulturblase, dass der weitaus wichtigste Auslandsösterreicher jener Jahre Otto Habsburg gewesen ist, der Sohn des letzten Kaisers. Er hatte vor allem in den USA jahrelang heftig antichambriert, um das Interesse am Wiedererstehen eines unabhängigen und freien Österreich wachzurufen. Das hat aber den Hass der SPÖ-Spitze auf die ehemalige Kaiserfamilie und die Verachtung der Genossen für die Habsburger in keiner Weise gemildert. Jahrzehntelang verhinderten sie mit miesen Methoden seine Einreise. Und jetzt will ihnen der heutige SPÖ-Chef Babler sogar den Familienschmuck rauben ...
Da passt natürlich ein Musical überhaupt nicht hinein, in dem ein aufrechter Adeliger zum mutigen Vorbild wird.
Da ignoriert man lieber, dass kein einziges Kulturwerk des 20. Jahrhunderts weltweit so positive Stimmung für Österreich gemacht hat wie "Sound of Music", und dass primär wegen der Originalschauplätze viele Touristen nach Salzburg kommen.
Mehr als wurscht ist es den überwiegend kirchenfernen Genossen auch, dass der Papst große Sympathien für die verfilmte Geschichte der Maria Trapp zeigt. Hat diese doch noch dazu in späteren Lebensjahren (die nicht mehr im Film vorkommen) sehr engagiert und effizient die internationalen Kontakte der damals ultramontanen österreichischen Kirche unterstützt.
