Elf Bücher, die man sich am liebsten selber schenken würde
Es ist schon vorweihnachtliche Tradition, im Tagebuch einige ganz persönliche und ganz unterschiedliche Buchtipps zu geben. Wie immer seien diese durch die Bitte ergänzt, Bücher primär im stationären Handel zu erwerben, damit die ja in jedem Fall gleiche Händlerspanne im Inland bleibt (und dort versteuert) wird. Dennoch wird zu jedem Buch – sofern vorhanden – ein Amazon-Hyperlink gesetzt, weil dort meist auch eine Leseprobe zugänglich ist.
Im Detail:
- An der Spitze sei Andreas Schwarz: "Vierte Kassa, bitte!" genannt. Das ist wirklich ein leichtes Allround-Geschenk, das sich vergnüglich liest. Lediglich "Kurier"-Leser könnten enttäuscht sein, denn sie haben vermutlich einige der spitzzüngig-ironischen Alltagsbetrachtungen des "Kurier"- und früheren "Presse"-Redakteurs schon gelesen. Aber es sind auch unveröffentlichte Bosheiten von Schwarz enthalten. Die aufgespießten und mit überaus feiner Klinge beschriebenen Alltagsszenen sind feuilletonistische Miniaturen, die an Kishon erinnern. Sie lösen vielfach im Leser die Reaktion aus: Darüber habe ich mich auch schon geärgert – oder amüsiert.
- Roman Sandgruber: "Habsburg: Die wichtigste Dynastie der Welt" kommt absolut zum richtigsten Zeitpunkt in die Buchläden, da sich der Chef der noch immer drittgrößten Partei des Landes und Vizekanzler nicht entblödet, von dieser Familie, der Österreich so viel zu verdanken hat, nun auch noch den vor hundert Jahren ins Ausland geretteten Familienschmuck zurückzuverlangen, nachdem man den Habsburgern inzwischen wirklich alles genommen hat. Der renommierte österreichische Historiker – derzeit einer der wenigen nicht Linksradikalen in dieser Zunft – hat aber keine Hagiographie der Familie Habsburg geschrieben, sondern eine sachlich distanzierte Beschreibung ihres Wirkens, all der Katastrophen, Erfolge, Intrigen, Mysterien, Inzest-Fälle auf diesem Weg. Gleichzeitig rollt auf 320 Seiten fast ein Dreiviertel Jahrtausend Weltgeschichte vor den Augen des Lesers ab.
- Wolfgang Schüssel folgt in "Mit Zuversicht: Was wir von gestern für morgen lernen können" seiner lebenslangen Devise des Optimismus. In vielen faszinierenden Einzeltexten beschreibt er interessante Begegnungen mit noch interessanteren Persönlichkeiten, aus denen er jeweils eine Konklusion, eine Lehre gewinnt. Er findet dann aber bisweilen doch auch zu offener Kritik, etwa an Frankreich und Belgien, weil sie (von linkem Laizismus geprägt) verhindert haben, dass in der Präambel eines neuen EU-Vertrags ein Bezug auf die christlichen Wurzeln Europas erwähnt wird (Heute sind die beiden wohl jene EU-Staaten, die am meisten unter dem Islamismus leiden …). Faszinierend ist auch seine Kritik an Politikern, die viel zu sehr auf Umfragen, Leitartikel und Postings achten, weil sie sich selbst nicht mehr sicher sind, was richtig ist.
- Gabor Steingart: "Systemversagen – Aufstieg und Fall einer großartigen Wirtschaftsnation" ist gewiss harte Kost, wenngleich ebenfalls sehr verständlich geschrieben. In einem umfassenden Text wird anschaulich beschrieben, was alles zur schweren Krise Deutschlands geführt hat. Die Analyse umfasst die gesamte Nachkriegszeit, geht aber auch auf die wirtschaftlichen Hintergründe des Weltkriegs ein. Besonders lobenswert sind die vielen sehr gut gelungenen Infographiken. Steingart ist alles andere als eine erfreuliche Lektüre – insbesondere für Österreicher, ist ihr Land doch wirtschaftlich massiv von Deutschland abhängig und wurden doch in Österreich vielfach ähnliche Fehler begangen.
- Noch globaler ist der analytische Blick von Hans-Werner Sinn in "Trump, Putin und die Vereinigten Staaten von Europa". Der zweifellos wichtigste und beste Ökonom des deutschen Sprachraums zeigt die essenzielle Notwendigkeit für Europa, sein eigenes Schicksal auch sicherheitspolitisch in die eigenen Hände zu nehmen. Nur damit kann es militärisch Russland Paroli bieten. Nur damit kann es sich aber auch das Amerika von Donald Trump politisch vom Leib halten, der sonst Europa wegen seiner militärischen Abhängigkeit dauernd wirtschaftlich wie politisch erpressen wird. Denn ein gemeinsamer Binnenmarkt und eine Währungsunion ist ohne eine gemeinsame politische Union eine zum Scheitern verurteilte Fehlkonstruktion.
- Obwohl seine beide Autoren wissenschaftlich ausgewiesen sind, ist der Band "Auslaufmodell Neutralität? – Geschichte und Gegenwart eines österreichischen Mythos" von Franz Cede und Ralph Janik ganz besonders gut lesbar. Sie nehmen auch die Nichtexperten auf eine anschauliche Reise durch die österreichische Zeitgeschichte, wobei sie etliche Male sogar in die Ich-Form verfallen. Sie zeigen die Geschichte des Neutralitätsgesetzes und die der handelnden Personen. Sie erklären die heutigen Positionen in der Diskussion über die zum Mythos gewordene Neutralitätserklärung. Und sie gehen der Frage nach, was die Neutralität heute noch für einen Sinn hat.
- Ebenfalls ganz um die Zeitgeschichte Mitteleuropas kreist Oliver Jens Schmit: "Moskaus westliche Rivalen: Eine europäische Geschichte vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer". Der Schweizer Historiker lehrt an der Uni Wien und geht der Entwicklung aller Länder in der Nachbarschaft Russlands vom Nordkap bis zum Schwarzen Meer nach, die sich alle in der Geschichte mit dem Expansionismus Russlands auseinandersetzen haben müssen oder gar von Russland beherrscht worden sind. Insbesondere arbeitete er dabei die wichtige Rolle Finnlands heraus, eines Landes, das hierzulande kaum wahrgenommen wird. All diesen Ländern, die schon im 18. Jahrhundert von Schweden bis Polen bloße Satelliten Moskaus waren, ist gemein, dass sie durch die Geschichte geprägt sind und heute noch sehr stark historisch denken – wie auf der anderen Seite aber auch Wladimir Putin. Schmit arbeitet als großen Unterschied zwischen diesen Ländern und Russland vor allem die politische Kultur heraus. Auf der einen Seite ist da ein riesiger Monolith, der sich durch Jahrhunderte immer für umzingelt gehalten hat, dessen Selbstverständnis von einem "Wir holen uns nur zurück, was uns gehört" geprägt ist. Auf der anderen Seite lauter Länder, in deren Geschichte die Ideen der Freiheit und des Rechts eine ganz wichtige Rolle spielen, die auch alle echte Parlamente und Verfassungen hatten und haben.
- Florence Bergeaud-Blackler: "Kalifat nach Plan: Frérismus und seine Netzwerke in Europa": Der Frérismus ist nach der Darstellung der Autorin aus der Internationalisierung der ursprünglich ägyptischen Muslimbruderschaft hervorgegangen, ihm geht es um die weltweite Verbreitung des Islams. Die Autorin ist eine europäische Expertin für diese länderübergreifende Bewegung, die zwar keine Mitgliederlisten führt, die aber auf mehr oder weniger demokratischem Weg die Macht für ein neues Kalifat erobern will, um die Macht entsprechend der Scharia nicht mehr abzugeben. Die Autorin beschreibt ihre Strategien, ihre Ideologie und Methoden.
- Ein kaum bekanntes dramatisches Element des Kalten Krieges wird von Charlie English in "The CIA Book Club" (in englischer Sprache) vor dem Leser lebendig. In unzähligen Aktionen gelang es damals den Amerikanern, Millionen von Büchern in den durch einen Eisernen Vorhang hermetisch abgeschlossenen Ostblock zu schmuggeln. In LKW oder Yachten versteckt, an Ballons durch die Lift segelnd oder im Gepäck von Reisenden versteckt kamen damals Titel von Agatha Christie bis George Orwell, von Virginia Woolf bis John Le Carré, von Hannah Arendt bis Alexander Solschenizyn in die Hände der Menschen in Osteuropa, die sie dann untereinander meist vielfach weitergegeben haben. Die Aktion erinnert an Zeiten, da sich die USA noch um Europa, um Wahrheit und Freiheit gekümmert haben. Literatur hat jedenfalls Wichtiges zum Kollaps des Ostblocks beigetragen.
- Johan Norberg: "Peak Human" beschreibt ebenfalls auf Englisch mehrere ganz unterschiedliche Goldene Zeitalter der menschlichen Geschichte. Er arbeitet heraus, was an ihrem Zustandekommen wesentlich war: wissenschaftliche Fortschritte, Wirtschaftswachstum oder kulturelle Blüten. Er geht aber auch dem Umstand nach, warum alle Goldenen Zeitalter endeten: durch inneren Streit, Angriffe von außen, Hochmut oder Sorglosigkeit. Der schwedische Autor befasst sich dabei mit folgenden sieben Hochkulturen: mit dem alten Athen, mit der römischen Republik, mit Bagdad unter den Abassiden, mit dem Italien der Renaissance, mit der niederländischen Republik, mit der angelsächsischen Welt und mit China in der Song-Phase.
