Sebastian Kurz und die Justiz, das Parlament und die Krähen
Jetzt liegt das Urteil des Oberlandesgerichts im Fall Sebastian Kurz – der eigentlich längst ein Fall Zadic-Sporrer-WKStA geworden ist – auch schriftlich vor. Und damit ist es jetzt vor allem auch ein verheerender Fall der unseriösen Vorgangsweise und Konstruktion der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse geworden. Völlig unabhängig davon stoßen wir dabei auch gleich auf den nächsten ORF-Skandal: Während mehrere Medien in den letzten Tagen schon über die Details aus diesem Urteil berichtet haben, schweigt der ORF weiterhin total, soweit ich das überblicken kann. Dabei hat der Zwangsgebührensender einst geradezu atemlos hechelnd täglich über den nun in der Luft zerfetzten Prozess gegen Kurz in der ersten Instanz berichtet. Jetzt, wo ein ganz anders lautendes Urteil rechtskräftig feststeht, interessiert die ORF-Redakteure die ganze Sache plötzlich überhaupt nicht mehr. Da zeigt sich stärker denn je: Sie sind nur von den Fakten unabhängig, nicht aber von ihren politischen Vorurteilen. Denn es ist mehr als eine Sensation, wenn dem Wiener Straflandesgericht vorgeworfen wird, eine "Rechtsfrage nicht richtig gelöst" zu haben. Das ist weit gravierender als ein bloßer Zwist über die Beweiswürdigung. Das ist für Juristen demütigend.
Noch viel weniger zu fassen ist, dass der Neos-Minister Wiederkehr das Ganze dick mit Steuergeld finanziert. (Irgendwie hindert mich mein Computer, in der Nähe des Wortes Wiederkehr auch das Wort Bildung einzutippen). Hat da irgendjemand davon gesprochen, dass Österreich sparen müsse? Jetzt bekommt der ORF neben den Zwangsgebühren auch noch weiteres Geld aus dem allgemeinen Steuertopf für diese Propagandaveranstaltungen.
Zurück zum Urteil des Oberlandesgerichts Wien. Dieses war zwar ganz offensichtlich – allzu offensichtlich – bemüht, den Richter der ersten Instanz zu schützen, genauer gesagt: die Auswahl des Richters. Es hat aber umso klarer gemacht, dass der Ablauf der Befragung im Untersuchungsausschuss so problematisch gewesen ist, dass Kurz dort keine falsche Beweisaussage begangen hat, wie das Erstgericht behauptet hat. Und genauso klar wird gemacht, dass schon das Protokoll des Untersuchungsausschusses zeigt, dass eigentlich die Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA Kurz von vornherein niemals anklagen hätte dürfen.
Im juristischen Detail: Eine – nun erfreulicherweise ausscheidende – Neos-Abgeordnete, die sich sonst vor allem als Migrations-Vorkämpferin exponiert hatte, hat Kurz im Ausschuss gefragt: "Haben Sie allgemein Wahrnehmung zur Frage, wie der Aufsichtsrat besetzt wurde? Waren Sie da selbst eingebunden?" Jeder, der der deutschen Sprache mächtig ist, hätte erkennen müssen, dass das zwei recht unterschiedliche Fragen sind, einmal eine zum konkreten Fall Schmid und einmal eine allgemeine.
Kurz antwortete mit: "Ja, ich weiß, dass es da im Finanzministerium und im zuständigen Nominierungskomitee Überlegungen und Gespräche gab." Und danach führte er ausführlich, aber völlig allgemein, die Vorgangsweise bei Aufsichtsratsbestellungen an. Das Oberlandesgericht analysierte daher völlig richtig über die von WKStA und erster Instanz als Delikt hingestellte Kurz-Antwort:
"Die Antwort … konnte … gerade nicht den Anschein der Vollständigkeit erwecken, handelte es sich bei der Frage nach seiner Einbindung, die er bejahte, doch um eine mit ,Ja‘ oder ,Nein‘ zu beantwortende Entscheidungsfrage, wobei er auf den zweiten Teil der Doppelfrage nicht näher einging. Das ,Wie‘ seiner Einbindung blieb daher (erkennbar) offen, wie sich schon an der Reaktion der Fragestellerin zeigt, die mit den Worten: ,Ich habe nicht nach dem Regelfall gefragt' –‚ versuchte nachzuhaken, jedoch vom Vorsitzenden, der die Fragerunde mit dem Hinweis: ,Die Zeit ist aus – zweite Runde‘ beendete, unterbrochen wurde."
In der Folge haben sich aber weder die Neos noch ein sonstiger der Kurz feindlich gesonnenen Abgeordneten jemals im weiteren Verlauf des Untersuchungsausschusses nach einer Konkretisierung dieser semantisch völlig unklaren Antwort erkundigt. Das beweist, dass dieses Thema für sie überhaupt nicht sonderlich relevant war. Dennoch haben sie daraus später eine Strafanzeige gegen Kurz gedrechselt. Dennoch hat die seit langem von Hass auf den Ex-Bundeskanzler erfüllte WKStA daraus eine Anklage gegen Kurz gemacht. Dennoch hat der Erstrichter, der ebenfalls eine aktenkundige ÖVP-Feindlichkeit hat, daraus eine Verurteilung gezimmert.
Damit ist diesen drei Institutionen der österreichischen Strafjustiz ein ganz übles Zeugnis ausgestellt. Aber noch mehr dem Parlament. Dieses hat sich zwar als Gesetzgeber selbst massiv Rechte wie ein Gericht zugesprochen, insbesondere die Wahrheitspflicht von Aussagen vor parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Zugleich ist es aber völlig außerstande, sich korrekt wie ein Gericht zu verhalten.
Zu den Pflichten eines korrekten Gerichtes würden nämlich folgende zwei Punkte eindeutig gehören (und diese Pflichten werden auch von den allermeisten Richtern, so weit ich das beurteilen kann, penibel eingehalten):
- dass man nicht zwei unterschiedliche Fragen auf einmal stellt,
- und dass jeder Richter in aller Ruhe weiter nachfragt, wenn ihm eine Antwort unklar, unvollständig, präzisierungspflichtig erscheint – statt im Verfahren die Antwort so stehen zu lassen und dann dem Zeugen im Nachhinein ein Strafverfahren wegen falscher Beweisaussage anzuhängen.
Man kann nur hoffen, dass das Parlament nun endlich an eine grundlegende Reform der Untersuchungsausschüsse geht, die eindeutig zur miesen Haxel- und Fallenstellerei verkommen sind (ich habe hier schon öfter die britischen "Royal Commissions" als Modell genannt, das wirklich Probleme untersuchen und konstruktive Vorschläge machen würde).
Zur Kenntnis nehmen muss man freilich, dass das Oberlandesgericht einen anderen wichtigen Teil der Berufung nicht aufgegriffen hat. Denn da wäre es um die dringend notwendige Selbstreinigung der Justiz gegangen. Und da ist man dann halt leider als Teil der Justiz weniger kritisch, sondern viel großzügiger als gegenüber dem Parlament. Auch wenn das OLG-Urteil es anders sieht, so sei nochmals die Überzeugung festgehalten: In einem korrekten Rechtsstaat hätte niemals dieser Richter den Prozess gegen den damaligen ÖVP-Obmann führen dürfen. Er hätte nicht einmal als früherer Staatsanwalt zum Richter ernannt werden dürfen.
- Ist er doch knapp davor in einem Disziplinarverfahren wegen eines dienstlichen Vergehens verurteilt worden. Es kann doch nicht sein, dass Staatsanwälte, die unkorrekt arbeiten, dann ausgerechnet Richter werden, werden dürfen. Sind doch Richter in noch viel heikleren Positionen, wo unbedingt extreme Korrektheit herrschen muss.
- Überdies ist der ehemalige Staatsanwalt wegen einer Tat disziplinär verurteilt worden, die er zum Nachteil eines anderen hochrangigen ÖVP-Politikers und im Zusammenspiel mit dem ÖVP-Jäger Peter Pilz begangen hat. Es kann doch nicht sein, dass ausgerechnet ein Jurist, der sich als bewusster ÖVP-Schädiger betätigt hat, dann – ganz, ganz zufällig – mit dem Prozess gegen den Obmann dieser Partei betraut wird. Und dass da nicht der Präsident des Straflandesgericht sagt: Herr Kollege, es wäre im Interesse des Images der Justiz besser, wenn Sie die Finger von solchen Themen lassen.
Den OLG-Kollegen dieses erstinstanzlichen Richters fehlte da wohl aus Standessolidarität der Mut oder der scharfe Blick, den sie gleichzeitig durchaus zu Recht auf die Vorgänge im Parlamentsausschuss warfen. Das ist bedauerlich. Denn es ist für das Ansehen der Justiz katastrophal, wenn nicht nur schon seit vielen Jahren in der Korruptionsstaatsanwaltschaft WKStA, sondern nun auch auf Richterebene erkennbare Missstände auftauchen. Die Justiz ist nur dann gut, wenn einem da nicht sofort der Satz vom Umgang der Krähe mit anderen Krähen einfallen würde.
Und selbstverständlich ist da auch die Justizministerin gefragt. Zwar ist der seltsame Richter-Transfer unter der grünen Vorgängerin passiert, aber auch die jetzige rote Ministerin hat da Handlungsbedarf, um die Justiz und ihr Ansehen wieder ins Lot zu bringen. Das hat sie deshalb gleich doppelt, weil sie die an sich schon skurrilen Untersuchungen zu den Vorgängen nach dem Tod des Justizopfers Christian Pilnacek von der örtlich eigentlich zuständigen Staatsanwaltschaft Krems ins weitab gelegene Burgenland transferiert hat. Einzig mit der Begründung, dass dadurch jeder Anschein der Befangenheit vermieden werden soll. Der in ihren Augen einfach deshalb entsteht, weil die Kremser Niederösterreicher sind und die Polizisten, die beim Tod Pilnaceks eingesetzt waren, ebenfals Niederösterreicher sind. Diese haben zwar – soweit bekannt – alles korrekt gemacht, aber es hat halt Peter Pilz wilde Verschwörungstheorien gegen sie erhoben. Und die Ministerin hat prompt auf Pilz reagiert. Damit ist jetzt auch ein absurder Präzedenzfall gesetzt: Kein Niederösterreicher darf gegen einen anderen Niederösterreicher ermitteln, weil er a priori befangen ist. Mit der gleichen Sporrerschen Logik müsste man dann auch sagen: Kein Tiroler Staatsanwalt darf gegen einen Tiroler, kein österreichischer Staatsanwalt darf gegen einen Österreicher …
Aber einer, der der ÖVP bewusst geschadet hat, darf einen Prozess gegen den Obmann der Partei führen. Und das soll nicht schlecht sein für das Ansehen der Justiz?
Ein letztes Mal zurück zum OLG-Urteil: Die Richter der Instanz haben historisches Verdienst erworben, dass sie die Zustände im Parlamentsausschuss kritisch hinterfragt haben, und sie haben ebenso Verdienst erworben, indem sie gezeigt haben, die Staatsanwaltschaft hätte auf Grund dieses – von Anfang an ja auf Punkt und Beistrich bekannten – Sachverhalts niemals Anklage erheben dürfen, hätten sie sich an das Recht gehalten, und ebensowenig hätte der Richter verurteilen dürfen, hätte er sich an das Recht gehalten. Denn es geht wohlgemerkt nicht um die sonst im Zentrum stehende Beweiswürdigung. Denn keine einzige der im Prozess selbst gemachten Aussagen hat an dieser grundsätzlichen Rechtsfrage noch etwas geändert. Die elf Prozesstage waren also von Anfang an überflüssig. Und sauteuer.
Wie toll wäre es dennoch gewesen, hätten die Damen und Herren des Oberlandesgerichts überdies auch einen kritischen Blick auf die Zustände rund um jene Richterbestellung geworfen. Auch wenn dadurch das Risiko entstanden wäre, dass der Prozess dann halt vor einem neuen Richter wiederholt werden hätte müssen. Aber auch der hätte – so wie jetzt die Instanz – sofort sagen müssen: In den vorgelegten Kurz-Aussagen und den Theorien der Staatsanwälte ist kein rechtlich relevanter Vorwurf zu erkennen, daher muss ich ihn sofort im Namen der Republik freisprechen.
