Wöginger, Sporrer und die Abenddämmerung einer kurzen Koalition
Jeder Wiener weiß seit Generationen: Willst Du eine Gemeindewohnung, willst Du einen Job im Rathaus oder bei der Müllabfuhr, dann geh zur Partei. Die Ergebnisse von Personalvertretungs- und Gemeinderatswahlen haben schon oft die Existenz dieses Wiener Grundgesetzes bestätigt (auch wenn in manchen Gemeindebauten die Freiheitlichen inzwischen ganz offensichtlich auch viele Stimmen von Besitzern eines roten Parteibuchs bekommen haben). Jeder Wiener weiß das. Nur die Genossen von der WKStA geben vor, es nicht zu wissen. Jedenfalls haben sie absolut noch nie die parteipolitisch beeinflusste Vergabe von Gemeindewohnungen oder Rathaus-Posten vor einen Richter gebracht (mit nachträglicher Ergänzung).
Das taten sie nur im Fall des Abgeordneten August Wöginger wegen eines Anrufs beim einstigen Generalsekretär im Finanzministerium zugunsten eines Bewerbers um die Leitung eines Provinz-Finanzamtes. Wöginger hat damit in Wahrheit das getan, was auch zahlreiche andere Abgeordnete getan haben und weiter tun. Was sehr viele Österreicher auch als ganz selbstverständliche Pflicht ihre lokalen Volksvertreters ansehen.
Wögingers wahre Verbrechen sind daher natürlich ganz andere als dieser Anruf:
- Wöginger ist Abgeordneter der ÖVP, des genetischen Hauptfeindes der SPÖ und ihrer stets aktiven und auch unter dem Sammelbegriff "Antifa" bekannten Fußtruppen (deren übel riechende Spur sich vom Fall Silberstein über den Fall Ibiza – wo die Justiz bis jetzt nicht nach den Hintermännern des eindeutig rechtswidrigen Lauschangriffs geforscht hat – bis zu den ständigen Enthüllungen der Existenz irgendwelcher Liederbücher in der Bibliothek eines FPÖ-Politikers).
- Wöginger ist ausgerechnet vom obersten Hassobjekt der WKStA namens Sebastian Kurz als parlamentarischer Klubobmann seiner Partei vorgeschlagen worden. Das setzt ihm in den Augen der WKStA ein ganz besonderes Kainsmal auf die Stirn.
- Wöginger hat sich mit Thomas Schmid an einen Menschen gewandt, der schon damals von klügeren Menschen penibel gemieden worden ist, der Wöginger später prompt gnadenlos denunziert hat, um sein eigenes Leiberl als "Kronzeuge" zu retten (obwohl ausgerechnet dieser Schmid der einzige ist, bei dem im gesamten Kurz-Konvolut ein echtes Delikt nachweisbar ist, nämlich die Falschabrechnung von Belegen – ausgerechnet – im Finanzministerium).
Gewiss kann man auch zu Wöginger sehr kritische Fragen stellen: Ist ausgerechnet ein militanter Sozialpolitiker der ideale Klubobmann für eine liberalkonservative Partei wie die ÖVP? Immerhin ist Österreich ein Land, in dem trotz eines gewaltigen Schuldenbergs die Sozialausgaben (als Anteil am nationalen Wirtschaftsprodukt) inzwischen die dritthöchsten in der ganzen EU sind; diese sind in den letzten zehn Jahren signifikant gestiegen, während sie im EU-Schnitt gesunken sind. An dieser Fehlentwicklung hat zweifellos der Klubobmann einer ständig, meist führend an der Regierung beteiligten Partei einen Anteil an Mitverantwortung. Die Schuld an dieser Entwicklung kann man nicht alleine den abwechselnd mit der ÖVP regierenden Links- und Rechtspopulisten zuschieben.
Aber freilich: Dieser einzige wirkliche Fehler Wögingers stört die WKStA-Genossen (natürlich) nicht. Sie arbeiten vielmehr an ihrer Lebensaufgabe: die ÖVP zu demontieren, sie anzukübeln und zu zerstören. Sie finden dafür bisweilen auch Richter, die da eifrig mittun, wie es in der ersten Instanz des Verfahrens gegen Kurz der Fall gewesen ist.
Bei Wöginger hatten sie nicht dieses Glück, zumindest bisher. Daher ließen sie sich in diesem Fall ganz schnell eine Weisung geben, gegen den Ausgang des Wöginger-Verfahrens und die dort ausgesprochene Diversion Berufung einzulegen, die den ÖVP-Politiker als unbescholtenen Mann aus dem Gerichtssaal gehen hat lassen.
Diese "Weisung" erregt derzeit unter all den Missständen in zentralen Teilen der Justiz am meisten Übelkeit. Denn es wurde offiziell behauptet, sie komme von der Oberstaatsanwaltschaft, einer scheinbar unpolitischen Instanz. Wie unpolitisch diese Oberstaatsanwaltschaft in Wahrheit ist, kann man sich ungefähr ausrechnen, seit auch ihre Leitung im Zuge der (letztlich letal endenden) Treibjagd der Justizlinken gegen Christian Pilnacek brutal ausgetauscht worden ist.
Durch Vorschieben der Oberstaatsanwaltschaft glaubt Justizministerin Sporrer aber, ihre Hände nach biblischem Vorbild in Unschuld waschen zu können, hat doch formal jemand anderer die Weisung gegeben als sie. Wer's glaubt, wird wie bei Pontius Pilatus vermutlich nicht selig. Denn das Verfahren gegen Wöginger zählt eindeutig zu den "clamorosen" Fällen, also den aufsehenerregenden Verfahren gegen prominente Angeklagte, wo sowohl die WKStA als auch die Oberstaatsanwaltschaft ständig verpflichtet sind, das Justizministerium einzuschalten.
Man kann daher jede Summe wetten, dass die wahren Entscheidungen – zuerst jene über Einleitung eines Verfahrens gegen Wöginger und jetzt jene über eine Berufung gegen die Diversion – von der jeweils amtierenden Ministerin selbst getroffen worden sind. Das war zuerst Alma Zadic und dann Anna Sporrer (beide sind ganz, ganz zufällig Frauen, von denen dicke Spuren zu Peter Pilz führen). Aber die Unterschrift unter die Weisung lässt man dann halt geschickter Weise von jemand anderem setzen, der dank der Justizschlammschlacht gegen alles, was nicht links ist, zu seinem Posten gekommen ist, der daher zweifellos zu Dankbarkeit und Linientreue verpflichtet ist.
Um nicht missverstanden zu werden: Der Rechtsstaat wäre prinzipiell im Sinne einer maximalistischen Trennung von Exekutive und Legislative durchaus mit einem strengeren Vorgehen gegen Abgeordnete verbindbar, die bei einer Postenbesetzung in der Verwaltung um einen Gefallen bitten. Aber der Rechtsstaat darf da keinesfalls ignorieren, dass solche Interventionen schon tausendfach von allen jeweiligen Regierungsparteien ohne jedes Unrechtsbewusstsein vorgenommen worden sind. Es ist daher das absolute Ende jedes Rechtsstaats, wenn es nur dann zu einem Verfahren kommt, sobald es parteipolitisch ins Konzept einschlägiger Justizaktivisten passt, und wenn solche Vorfälle nicht bei alle Parteien untersucht werden.
Es gibt mehr als genug Österreicher, die wegen parteipolitischer Interventionen einen ersehnten Posten oder eine Wohnung oder eine Genehmigung nicht erhalten haben. Oder die zumindest davon überzeugt sind. Dann muss die Justiz dem wirklich in allen Fällen nachgehen, wo sich ein Benachteiligter beschwert. Und zwar überall mit der gleichen Konsequenz. Dann muss man so wie im Fall Wöginger immer auch die Angehörigen einer Besetzungskommission auf die Anklagebank setzen. Und zwar sogar primär. Denn sie – und nicht intervenierende Abgeordnete! – treffen rechtlich die Entscheidung. Denn sie sind gesetzlich zu strenger Objektivität verpflichtet. Denn sie sind vom Gesetz bei ihren Entscheidungen unabhängig gestellt. Denn sie sind meist Beamte und haben dadurch dienstrechtlich vielfältigen Schutz. Anrufende Abgeordnete können rechtlich hingegen höchstens Anstifter sein. Und es gibt sogar mengenweise Fälle, wo Beamte sogar die Wünsche des eigenen Ministers abblitzen haben lassen. Sie hatten keinerlei Not, die Interventionsbitte eines Abgeordneten zu erfüllen.
Es ist daher völlig inakzeptabel, dass die WKStA nur in diesem einzigen Fall aktiv wird, noch dazu in einem Fall, der auf zehn Kilometer gegen den Wind nach parteipolitischer Motivation der Ankläger stinkt. Das erkannt zu haben, war zweifellos auch das wahre Motiv des Gerichts, warum es durch den Ausspruch der Diversion auf massive Distanz zu einer so anrüchigen Anklage gegangen ist. Das Gericht hat gespürt, dass es in mieser Art als Instrument einer parteipolitischen Aktion missbraucht werden soll.
Die gesamte Situation rund um die Strafjustiz zwingt aber auch, über den Rand des österreichischen Suppentellers hinauszuschauen. Dabei läuft es einem nämlich wirklich eiskalt über den Rücken. Denn das Verhalten von WKStA und Justizministerium erinnert massiv an Länder wie Russland oder die Türkei oder Venezuela. In all diesen Staaten existieren Rechtsstaat und Demokratie nur noch als Fassade einer immer brutaler gewordenen Diktatur, in der gegen zahlreiche politischen Widersacher absurde und existenzvernichtende Prozesse geführt werden.
Es ist wohl auch kein Zufall, dass schon etliche anständige Juristen empört aus der österreichischen Staatsanwaltschaft geflüchtet sind. Es gibt noch Menschen, denen ihr Gewissen wichtiger ist als die satten (deutlich über den Richtern liegenden!) Bezüge eines beamteten Staatsanwalts. Das ist erfreulich.
Erfreulich ist auch, dass es in Österreich noch weitgehend unabhängige und objektive Richter gibt (wenn man vom Verfassungsgerichtshof absieht, aber das ist eine andere Geschichte). Zumindest in den Oberinstanzen überwiegen jedenfalls noch eindeutig solche Richter. Freilich erstaunt auch bei den Richtern manches. Siehe etwa das seltsame politische Verhalten der Richtervereinigung in den letzten Jahren. Siehe einige mehr als merkwürdige Prozesse im Wiener Landesgericht (besonders jene gegen Sebastian Kurz und Peter Westenthaler). Aber noch ist das "bloß" die erste Instanz.
Am meisten gespannt sein darf man jedenfalls auf das Verhalten der ÖVP:
Wie lange lässt sie es sich noch gefallen, wenn sie ständig vom Koalitionspartner solche Tritte in den Unterleib bekommt?
Wie lange wird sie brauchen, bis sie erkennt, dass die Linke das Strafrecht zum Vernichtungsfeldzug gegen die bürgerlichen Parteien ausgewählt hat (nachdem die Linke schon auf dem Feld der – durchwegs politisch besetzten! – europäischen Höchstgerichte so große Erfolge bei der Öffnung der Tore Europas für die illegale Migration erzielt hat)?
Wie lange wird sie brauchen, bis sie erkennt, dass sie mit der Wahl dieses Koalitionspartners und insbesondere mit der Zustimmung zu dieser Justizministerin die schlechteste aller möglichen Entscheidungen getroffen hat?
Theoretisch möglich – aber nach aller Erfahrung extrem unwahrscheinlich – wäre auch ein spätes Eingestehen der SPÖ, dass sie sich mit dieser Strategie selbst ins eigene Fleisch schneidet. Dass sie sieht, wie sie dadurch geradezu stündlich in der ÖVP die Stimmung erhöht, es doch trotz Herbert Kickls mit der FPÖ zu versuchen. Dass sie sieht, wie die SPÖ selbst jene Regierungspartei ist, die im ersten Jahr dieser Regierung bei allen Umfragen weitaus am tiefsten abgestürzt ist, während sich die ÖVP seit dem Abgang Karl Nehammers trotz aller politmedialen Attacken halbwegs positiv entwickelt hat.
Das führt zwangsläufig zum ÖVP-Parteichef, zu Bundeskanzler Christian Stocker. Ihm ist gesundheitlich nach seiner Operation alles Gute zu wünschen. Aber ebenso ist Tatsache, dass an der Wiener Gerüchtebörse bereits heftig spekuliert wird, ob sein Gesundheitsproblem – geplant oder ungeplant – nicht eine ideale Absprungbasis von einer verhassten Koalition ist, in der sich ein Koalitionspartner völlig reformunwillig verhält und ständig nur darüber nachdenkt, wie er der ÖVP schaden kann.
Manche sind sogar ganz sicher, dass die ÖVP mit oder ohne Stocker springen und auf den Erfolgskurs des Sebastian Kurz zurückkehren wird, sobald Kickl signalisiert, dass seine Russlandliebe, sein Hass auf den Westen und eine gemeinsame europäische Sicherheitspolitik nicht in Granit gemeißelt sind. Was freilich bei Kickl alles andere als sicher ist, fehlen ihm doch alle taktischen und strategischen Fähigkeiten eines Jörg Haider, aber auch der Opportunismus eines H.C. Strache.
PS: Jene Bürgerlichen, die noch immer meinen, man solle wegen einiger Zwischenfälle nicht gleich die ganze Staatsanwaltschaft abschreiben, sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Denn es ist einfach ausgeschlossen, dass in dieser WKStA auch nur ein Hauch von Rechtlichkeit herrscht, wenn sie nie den größten Korruptionsskandal der Nachkriegsgeschichte vor einen unabhängigen Richter gebracht hat, nämlich die hunderte Millionen schweren Geldflüsse aus dem Imperium der Gemeinde Wien an willfährige Medien.
Ich schreibe in regelmäßigen Abständen Kolumnen auf der Nachrichten- und Meinungsplattform Exxpress.
