Wo Trump Fehler macht und wo er Recht hat
Donald Trump hat in den vergangenen Tagen neben seinem historischen Verrat an der Ukraine (und auch an Europa) und seiner Übelkeit erregenden Packelei mit dem russischen Diktator noch durch zwei ganz andere Aktionen Schlagzeilen ausgelöst. Diese waren zumindest in den USA noch größer als die zu seinem Ukraine-Plan. Diese Aktionen waren einerseits der Staatsempfang für den saudischen Kronprinzen trotz dessen mörderischer Vergangenheit und andererseits die Androhung der Todesstrafe für einige demokratische Abgeordnete, weil diese zur Befehlsverweigerung aufgerufen haben. Beide Aktionen geben einem auch als Europäer Anlass zu grundsätzlichem Nachdenken, aber auch zu differenzierter Sichtweise statt des automatischen "Hurra!" der einen und des ebenso automatischen "Das ist das Letzte!" der anderen zu allem und jedem, was Trump tut. Denn im Grund hat Trump in einem Fall goldrichtig agiert, im anderen grundfalsch.
Der amerikanische Präsident ist kein Diktator auf Zeit, auch wenn das Trumps geheimer Wunsch sein dürfte. Er ist vielmehr – ebenso wie europäische Staats- und Regierungschefs – in ein enges verfassungsmäßiges Geflecht von "Checks and Balances" vor allem durch Parlamente, durch Gerichte, durch die rechtlich garantierte Autonomie von Gemeinden und Provinzen eingebunden; wobei letztere in den USA sogar ganz bewusst Bundes-STAATEN heißen, was ihre eigenen Rechte betont. Über die Einhaltung dieser Regeln an Checks and Balances wacht der Oberste Gerichtshof und nicht der Präsident. Daher steht es diesem schon gar nicht zu, nach der Todesstrafe für Abgeordnete zu rufen, oder ihnen wegen jener Aussage "Hochverrat" vorzuwerfen.
Rechtlich ist es an sich völlig richtig und in jedem Rechtsstaat selbstverständlich, dass Soldaten, Beamte und Polizisten nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht haben, eindeutig rechtswidrige Befehle zu verweigern. Fraglich ist nur, ob das auch für den Fall gilt, auf den der Aufruf der Demokraten – fast lauter ehemalige Soldaten – zweifellos gemünzt gewesen ist: Das war der Einsatz von Soldaten, um die Gesetze zur Festnahme und Ausweisung illegaler Migranten auch in jenen Bundessstaaten und Gemeinden umzusetzen, wo sich die lokalen Behörden an die Seite der illegalen Migranten gestellt haben.
Der Einsatz einer Armee im eigenen Land ist immer eine extrem heikle Angelegenheit, schon deshalb, weil das sehr an das Verhalten von Diktatoren erinnert. Andererseits kann in einem Verfassungsstaat nicht jede Gemeinde, jede Provinz nach Belieben und Ideologie gesamtstaatliche Beschlüsse ignorieren. Die durchaus schwierige Abgrenzung zwischen diesen beiden zentralen Grundprinzipien eines Verfassungsstaates ist ganz eindeutig eine Frage, welche die Höchstgerichte zu entscheiden haben – aber nicht einzelne Soldaten, die im Zweifel Befehle einfach verweigern.
Beschlüsse der Höchstgerichte können und dürfen zwar kritisiert werden. Aber dennoch sind sie im Rechtsstaat das letzte Wort. Ein Widerstandsrecht entsteht in einer Demokratie erst dann, wenn diese – auf welchem Weg immer –
- in eine Diktatur verwandelt wird,
- wenn Gerichte nicht mehr frei und nach bestem Wissen und Gewissen entscheiden können,
- wenn es keine freien Wahlen mehr gibt,
- oder wenn die Meinungs- und Pressefreiheit eingeschränkt wird.
Keines dieser vier Kriterien trifft jedoch in den USA oder in Europa in irgendeiner Weise zu (auch wenn die Einschränkung der Meinungsfreiheit durch die europäische Politik und die massive Politisierung der österreichischen Staatsanwaltschaft zunehmend Sorgen machen). Daher sind auch die bei Europas Linken modisch gewordenen Worte "autokratisch" oder "autoritär" für alle möglichen von rechten Regierungen gelenkte Staaten absurd.
Wenn keines der vier Kriterien der Fall ist, dann hätte auf beiden Seiten des Atlantiks ein einfacher Soldat nur dann ein Befehlsverweigerungsrecht, wenn ihm persönlich konkret und eindeutig als solche erkennbare Rechtswidrigkeiten befohlen werden – etwa das Foltern oder Erschießen von Gefangenen. Hingegen ist die rechtlich überaus komplizierte Verfassungsfrage, ob der Einsatz etwa rund um die Abschiebungsaktionen als Ganzes rechtswidrig ist, sicher keine Frage, die zur Befehlsverweigerung führen darf.
Die Aufrufe der demokratischen Abgeordneten schrammen daher auch knapp an dieser Frage vorbei. Sie haben bewusst nur allgemein auf das Recht einer Befehlsverweigerung bei erkennbar rechtswidrigen Befehlen gesprochen. Vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in etlichen Städten ist ihr Aufruf dennoch zumindest problematisch.
Noch viel bedenklicher und überzogener ist es aber, wenn Trump ihnen gleich Hochverrat vorwirft und die Todesstrafe androht. Damit rüttelt er an einem zentralen politischen Prinzip. Damit begeht er überdies genau das, was er ständig – insbesondere nach der Ermordung des charismatischen Redners Charlie Kirk – der Opposition vorwirft: nämlich die Verschärfung des politischen Klimas.
Der Mörder bin Salman
Genauso scharf waren die öffentlichen Attacken auf den US-Präsidenten, weil dieser den saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman mit allen Ehren empfangen hat. Dieser ist de facto Regierungschef und fast Alleinherrscher der arabischen Monarchie. Er ist aber auch – wenngleich nie verurteilt – nach übereinstimmender Aussage auch der amerikanischen Geheimdienste verantwortlich für die Ermordung des saudischen Oppositionellen Khashoggi im saudischen Konsulat in Istanbul.
Nüchtern betrachtet, läuft das auf die Frage hinaus: Darf man einen solchen Mann mit allen Staatsehren empfangen? Die Moral sagt Nein, aber Vernunft, nationales Interesse der USA und auch das traditionelle Völkerrecht sagen Ja. Denn solche Staatsgäste haben diplomatische Immunität, können also strafrechtlich nicht verfolgt werden. Aus einem klaren, wenn auch bitteren Grund: Würde man jeden ausländischen Staatsführer schneiden oder gar mit Verhaftung bedrohen, der schweres Unrecht auf sich geladen hat, dann stünde man bald sehr isoliert in der Welt da. Das wäre sicherheitspolitisch und wirtschaftlich der absolute Selbstmord.
Bei strikter Moralisierung der politischen Kontakte könnten sich fast nur noch ein paar europäische Staats- und Regierungschefs treffen. Dann könnten Trump und andere demokratischen Regierungschefs jedenfalls auch nicht den syrischen Machthaber treffen, der ein eindeutiger Islamist ist. Dann könnte man weder den russischen noch den chinesischen Staatspräsidenten treffen, haben doch beide bis zum Ellbogen Blut an den Händen. Doch sogar der österreichische Bundeskanzler ist nach Moskau geflogen ...
Ja, das sind alles Vielfach-Mörder und Folterer, genauso wie die Herrscher über Nordkorea, über Venezuela, über Kuba. Selbst der Regierungschef Indiens – einer eindeutigen Demokratie, eines eindeutigen Rechtsstaats – hat nach der Ermordung eines oppositionellen Sikh-Aktivisten in Kanada durch indische Geheimdienstagenten keine saubere Weste.
Aber das Völkerrecht respektiert zu Recht ausländische Staatsoberhäupter, Minister und Diplomaten auch dann, wenn diese Verbrecher sind – zumindest solange sie offiziell in anderen Ländern unterwegs sind. Den Strafgerichten anderer Länder unterstehen sie höchstens, wenn sie privat unterwegs sind, oder wenn sie die Aufforderung zur Ausreise ignorieren.
Das ist auch gut so. Denn die Alternativen zu einem respektvollen Umgang auch mit blutrünstigen Diktatoren hießen für jedes Land:
- entweder, sich auf eine Insel zurückziehen und den Kontakt zur Außenwelt weitgehend abzubrechen,
- oder alle Welt mit Krieg zu überziehen, bis überall Recht und Ordnung nach unseren Maßstäben eingekehrt sind.
Daher hat auch Österreich in Zeiten der kommunistischen Diktaturen zu Recht mit allen Machthabern in der östlichen Nachbarschaft genauso wie mit den Obersklavenhaltern in Moskau gute Beziehungen gesucht und sie als Staatsgäste respektvoll behandelt. So ist Portugal bereits ab 1949 bei der Gründung der Nato Mitglied geworden (wobei es übrigens problemlos seine Neutralität aufgegeben hat), obwohl es damals eine eindeutige Diktatur gewesen ist. Aber in dem bereits voll entbrannten Kalten Krieg mit einer aggressiven Sowjetunion hat das Schutzbündnis der westlichen Demokratien primär Wert auf den strategischen Nutzen durch Portugal gelegt.
Es ist einfach nicht durchhaltbar, in Beziehung zu anderen Staaten die gleichen Prinzipien von Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten, wie man sie im Inland zumindest postuliert. Das könnte nur dann gelingen, würde die gesamte Außenwelt mitmachen (was sie aber nicht einmal gegenüber den Nazi-Tätern wirklich geschlossen gemacht hat, von denen etliche in Südamerika, aber einige auch als gesuchte Experten in den USA und in der Sowjetunion Unterschlupf bekommen haben).
Der "Internationale Strafgerichtshof" war später zwar ein Versuch, einige globale Rechtsgrundsätze gegenüber einzelnen Tätern durchzusetzen, schaffte das aber immer nur dann – nach den Jugoslawienkriegen, nach afrikanischen Bürgerkriegen –, wenn die Täter besiegt wurden und die Sieger sie an den IStGH auslieferten. Wladimir Putin hingegen ist wenig dadurch irritiert, dass er von diesem IStGH wegen der russischen Verbrechen im Ukraine-Krieg zur Fahndung ausgeschrieben ist.
Die gesamte weltgeschichtliche Erfahrung zeigt: Rechtsdurchsetzung gegenüber anderen Staaten ist weiterhin fast nur auf militärischem Weg möglich. Sanktionen haben meist sehr wenig bewirkt – schon deshalb, weil sie fast nie von allen eingehalten werden. Wirklich zum Durchbruch haben sie nur beim Aufstand der Schwarzen gegen die weiße Regierung Rhodesiens geführt, was in der Folge zur Vertreibung der Weißen, zur Namensänderung in Zimbabwe und einem langen wirtschaftlichen Leidensweg unter einem kommunistischen Diktator geführt hat.
Wenn Rechtsprechung immer nur gegen die Besiegten geübt wird, hat das immer einen üblen Beigeschmack als Siegerjustiz. Auch wenn der Internationale Gerichtshof IGH (der nicht mit dem IStGH verwechselt werden darf, welcher nur über Einzelpersonen urteilt) bisweilen einem Staat Recht gegen einen anderen gibt, ist das völlig irrelevant, solange ein verurteilter Staat sich nicht freiwillig unterwirft. Denn es gibt international nicht wie innerhalb eines Staates eine Polizei, die solchen Urteilen notfalls auch mit Gewalt zur Durchsetzung verhelfen würde. Daher bleiben viele IGH-Urteile juristische Theorie.
Bündnisse wie die Nato sind ein Versuch über-staatlicher Rechtsdurchsetzung durch mehrere Staaten, die sich zumindest gegen das allergrößte Verbrechen in der Staatengemeinschaft – gegen den militärischen Angriff eines fremden Landes auf ein Mitglied des Bündnisses – verbünden. Aber auch bei einem Bündnis ist unsicher, ob es im Ernstfall hält: Siehe die Distanz, die Donald Trump gegenüber den europäischen Alliierten entwickelt hat. Siehe etwa auch den Treuebruch Italiens gegenüber dem Dreibund mit Österreich und Deutschland (einem mit der Nato durchaus vergleichbaren Bündnis), als Rom 1915 plötzlich auf der anderen Seite in den Krieg eingetreten ist.
Dennoch haben Bündnisse eine große Bedeutung – insbesondere zur Abschreckung potentieller Aggressoren. Und sehr wohl sind immer wieder andere Staaten einem angegriffenen Freund zur Seite gesprungen, haben ihre Beistandsverpflichtungen eingehalten. Siehe etwa den Eintritt Großbritanniens in den Weltkrieg, als Belgien angegriffen worden ist. Siehe etwa der Sieg über Napoleon, der erst gelungen ist, als sich Österreich, Preußen, die Niederlande und England verbündet haben.
Nur selten haben Bündnisse aber dieselbe Effizienz in der Durchsetzung rechtlicher Prinzipien an den Tag gelegt, wie es im Normalfall innerstaatlich die Polizei tut. Meist gilt noch immer das alte Prinzip: Staaten verfolgen primär ihre eigenen Interessen und vergessen dabei oft auf Moral und Anstand.
Das heißt nicht, dass diese Begriffe irrelevant wären. Aber sie wirken nur dann, wenn die – oft durch Medien kanalisierte – Empörung der eigenen Bevölkerung so groß ist, dass dadurch Regierungen zum politischen und auch militärischen Eingreifen gegen Rechtsbrecher veranlasst werden. Siehe etwa das zweimalige Eingreifen des Westens in den jugoslawischen Bürgerkrieg, als die Serben so brutal gegen Bosnier beziehungsweise Kosovo-Albaner vorgingen, dass manche darin sogar einen Völkermord, einen Genozid gesehen haben.
In aller Regel greifen Regierungen aus moralisch-rechtlichen Motiven und außerhalb von Bündnissen nur dann zum Einsatz von militärischen Mitteln, wenn es entweder um wirklich lebenswichtige eigene Interessen, um die eigene Existenz geht, oder wenn der Druck der eigenen Bevölkerung, sich mit einem anderen Land solidarisch zu zeigen, groß genug ist UND wenn dadurch die eigene Sicherheit nicht gefährdet wird.
Bevor aber solche Fragen irgendwie relevant werden, ist es jedenfalls klug und richtig, sich mit anderen Staatsführern zu treffen, auch wenn deren Verhalten noch so widerlich ist. Im Falle Saudi-Arabiens – um zum Treffen Trumps mit dem Kronprinzen zurückzukehren – geht es sogar um einen ganz wichtigen Verbündeten der USA. Die Saudis sind entscheidend in der Abwehr eines wirklich gefährlichen Feindes, nämlich des Iran, der schon an vielen Stellen des Nahen Ostens Feuer gelegt hat. Unbestreitbar geht es Trump aber zweifellos auch um viele Aufträge aus dem ölreichen Land. Und vielleicht hat bin Salman für den korruptionsaffinen Präsidenten ja auch einen Goldbarren im Handgepäck gehabt ...
Aber jedenfalls ist es auch objektiv richtig, mit Saudi-Arabien gut umzugehen. Denn letztlich hat man im Leben und noch viel mehr in der internationalen Politik fast immer nur die Auswahl zwischen einem größeren und einem geringeren Übel. Und da ist Saudi-Arabien eindeutig das geringere Übel. Trotz des grauslichen Mordes ist das Land nicht nur im Vergleich zum Iran vorzuziehen. Dabei darf man nicht vergessen: Vor 50 Jahren war der Iran noch das eindeutig offenere, friedlichere, modernere Land, bevor es von einer giftigen Kombination aus linksradikalen Studenten und mittelalterlichen Mullahs tatsächlich ins Mittelalter zurückgeworfen worden ist. Saudi-Arabien bewegt sich hingegen zunehmend aus dem Mittelalter heraus, wie man etwa an den deutlich verbesserten Frauenrechten ablesen kann.
Das ist eine hervorragende Entwicklung, die alles andere überstrahlt. Auch wenn man als Bürger und Medium deswegen das Negative wie jenen Mord nicht verschweigen darf. Anständige Bürger anderer Länder haben sogar jedes moralische Recht, ja geradezu die moralische Pflicht, nicht in eines dieser Länder zu fahren, kein Produkt dieser Länder zu kaufen.
- Man muss ja – trotz aller schönen Strände – nicht unbedingt auf den Malediven Urlaub machen, einer üblen sunnitischen Religionsdiktatur mit ganz schlimmer Christenverfolgung.
- Man muss ja nicht unbedingt – trotz aller Preisvorteile – ein chinesisches Auto kaufen, ist China doch ein Land, das gleich zwei Völker (Tibetaner und Uiguren) versklavt hat, das der europäischen Wirtschaft gezielt massiv schadet, das Russland ermöglicht, seinen Angriffskrieg zu finanzieren, und das nun gar plant, einen weiteren Staat – nämlich Taiwan – zu überfallen.
Staaten, Regierungen haben hingegen die oberste Pflicht, primär auf die Sicherheit, Freiheit und Unabhängigkeit, aber auch die ökonomischen Interessen des eigenen Landes zu schauen und darauf, dass es möglichst viele Freunde an Stelle von Moral hat. Sekundär muss es Staaten aber sehr wohl immer auch um den Frieden und die Stabilität in der restlichen Welt gehen. Weniger aus einer globalen Moral heraus, sondern aus legitimem Eigeninteresse, dem es immer schadet, wenn Frieden und Stabilität in der Welt gefährdet sind.
