Die Brandmauer im Wanken
Das EU-Lieferkettengesetz wurde gemildert. Das ist eine positive Nachricht, die einen zweiten, noch viel positiveren Aspekt in Hinblick auf eine grundsätzliche Neuorientierung der gesamten scharf dreigeteilten europäischen Parteienlandschaft mit sich trägt. Dieser Aspekt enthält auch für etliche EU-Mitgliedsstaaten eine wichtige Botschaft – die freilich dort noch nicht wirklich gehört wird. Dabei wäre sie in diesen Stunden insbesondere für Frankreich enorm wichtig.
Freilich haben sich die EU-Europäer wieder nur auf einen halbgaren Kompromiss geeinigt, statt die Liefergesetze komplett abzuschaffen. Diese treffen jetzt "nur" noch Großbetriebe mit mehr als 5000 Mitarbeitern und einem Umsatz von mindestens eineinhalb Milliarden Euro.
Damit ist zwar ein guter Teil der europäischen Wirtschaft befreit von den Auflagen. Der Kompromiss übersieht aber, dass die großen Konzerne ebenfalls unter Wettbewerbsdruck stehen, es sich daher ebenfalls nicht leisten können, auf billigere Lieferanten zu verzichten, und dass sie außerdem wichtige Leitbetriebe auch für europäische Klein- und Mittelbetriebe sind, die von den Großen abhängen.
Vor allem aber übersieht der Kompromiss, dass auch die verbliebenen Lieferkettengesetze von den Ländern der Dritten Welt noch immer als kolonialistische Bevormundung angesehen werden. Denn eigentlich ist es ja autonomes Recht jedes Staates, selbst die sozialen Standards festzusetzen, die dort gelten. Viele von ihnen halten diese bewusst niedrig, um viel exportieren und wirtschaftlich rasch aufsteigen zu können – etwa so wie Südkorea oder China, die auch mit harter Arbeit, wenig Lohn und wenig sozialen Gesetzen binnen weniger Jahrzehnte den Aufstieg von bitterer Armut in die internationale Spitzenklasse geschafft haben. Daher sind diese Länder grundsätzlich über die EU verärgert, wenn diese Druck auf ihre Gesetzgebung ausüben will.
Mindestens ebenso wichtig und politisch geradezu explosiv ist aber, welche europäische Parteienkonstellation diesen Beschluss getragen hat: Dabei hat sich die konservativ-christdemokratische Mitte erstmals mit den Parteien rechts von ihr abgesprochen. Der rote, grüne und linksliberale Teil des EU-Parlaments und sein strikter Widerstand gegen jede Lockerung der Lieferkettenregeln sind hingegen links liegen gelassen worden.
Das ist eine geradezu historische Wende. Denn bisher beruhte die Mehrheit der EU-Kommission immer auf einer Achse zwischen der Mitte und der Linken. Nun ist die Brandmauer nach rechts eingebrochen.
Das hat zweifellos Auswirkungen auf die nationalen Diskussionen, etwa auch in Deutschland. Wenn es in Europa ein Bündnis der Europäischen Volkspartei mit den Rechten geben kann, um dort Vernünftiges durchzubringen, warum soll das in einzelnen Mitgliedsländern nicht möglich sein?
In Frankreich kann man es ja derzeit gerade als besonders unheilvoll beobachten, welche Folgen die Bindung der Mitte an die Linke hat: Dort stimmt die Linke dem Budget der Macron-Mitte nur unter der Bedingung zu, dass die von Präsident Macron erkämpfte Pensionsreform, die eine ohnedies viel zu milde Erhöhung des Pensionsalters von 62 auf 64 Jahre bringen würde, wieder abgesagt oder zumindest eingefroren wird.
Das ist eine absolute Katastrophe auch für Europa. Denn ohne Erhöhung des Pensionsalters kann keine Besserung der französischen Staatsverschuldung gelingen. Dabei ist diese mit 116 Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung BIP eine der höchsten Europas und mit über 3,4 Billionen Euro in absoluten Beträgen überhaupt die höchste in der ganzen EU. Aber Macron ist eben weiterhin nur bereit, mit der Linken zusammenzuarbeiten – obwohl das seine eigene Wirtschaftspolitik ruiniert –, nur um nicht mit der verhassten (und eigentlich vor allem als Konkurrenz gefürchteten) Le-Pen-Rechten zu koalieren.
Aber vielleicht hat die überraschend problemlose Lieferkettenkoalition das Eis gebrochen. In Frankreich, in Deutschland und in anderen europäischen Ländern, wo es der Linken überall gelungen ist, rechte Parteien zu Unberührbaren zu machen und das eigene Land gegen die Wand donnern zu lassen.
