
Die Illusion der Energieautarkie
Das Magazin Stromline behandelt unter anderem den nötigen Ausbau der Stromerzeugungssysteme, die die Klimaneutralität und Autarkie bis 2040 sichern sollen. Bis dahin erwartet man eine Verdoppelung des Energiebedarfs. Ob dabei dem enormen Bedarf für Rechenzentren entsprochen wird, ist nicht erwähnt – falls der österreichische Weg zur Erreichung von Energieautarkie überhaupt möglich ist.
Aus der Analyse in Stromline geht hervor, dass zur Deckung der Stromnachfrage die installierte Kraftwerksleistung fast zu verdreifachen ist – von 27 GW auf rund 71 GW. Am stärksten müssen Wind und Photovoltaik dazu genutzt werden.
Ausgehend von der gegenwärtigen (2024) Gesamtkapazität von 27 GW, die sich aus Thermischen Kraftwerken mit 5,7 GW, Pumpspeicher 2,6 GW, Laufwasser 8,7 GW, Wind 4 GW und Photovoltaik 6,3 ergibt, müssen zusätzlich bis 2040 für eine Gesamtkapazität von 71 GW, Batterien 3,6 GW, Thermische 0,4 GW, Pumpspeicher 2 GW, Laufwasser 3,1 GW, Wind plus 11 GW und Photovoltaik 23,7 GW errichtet werden.
Das sind enorme Mengen. Damit dürften die Bauindustrie und erneuerbaren Anlagenbauer in Österreich mehr als ausgelastet sein. Aber ist das realistisch?
Batterien
Denkt man an die herkömmlichen erprobten Li-Co Batterien mit 3,6 GW Leistung, würden dafür Kosten von über 5 Milliarden anfallen. Als Basis für diese Kostenabschätzung diente das 10,3 MW Batteriespeicherkraftwerk Arnoldstein in Kärnten, das 15 Millionen Euro kostete.
Thermische Kraftwerke
Hier ist zu bemerken, dass es gegenwärtig noch keine kommerziellen Gasturbinen gibt, die mit Wasserstoff betrieben werden können. Soll aber das Programm Netto Null 2040 realisiert werden, so müssen alle bestehenden Gasturbinen erneuert oder umgerüstet werden, um mit grünem Wasserstoff betrieben werden zu können. Also ein Problem, das in der Planung offenbar nicht Beachtung gefunden hatte.
Und sollten tatsächlich Gasturbinen mit einer Gesamtleistung von 6,1 GW in Betrieb genommen werden, so ist das dazu nötige Volumen an grünem Wasserstoff beträchtlich und die Versorgung alles andere als gesichert. Man wird wohl auf blauen Wasserstoff ausweichen müssen, der auch viel preiswerter zu produzieren wäre als grüner Wasserstoff. Kosten für etwa 400 Gasturbinen mit 15 MW Leistung belaufen sich auf etwa 12 Milliarden Euro.
Von Interesse dazu ist, dass ein Prototyp, einer von Siemens entwickelten Wasserstoffturbine, die SGT-400 Industriegasturbine, bisher nur getestet wurde, die mit 100 Prozent Wasserstoff betrieben werden kann. Von serienmäßigem Bau und Umrüstung bestehender Gasturbinen schweigen die Medien. Über das Thema der dazu nötigen Pipelines – nicht nur für die Gaskraftwerke, sondern auch für Industriebetriebe wie die VOEST – wird nur gedämpft berichtet. Ob es also diese Anlagen bis 2040 gibt, ist ungewiss.
Netz Oberösterreich GmbH berichtet von einer Gaspipeline, die 50.000 Kubikmeter Wasserstoff pro Stunde für eine Fernheizung transportiert. Für den Betrieb der geplanten thermischen Stromerzeugung und Industriegas wird man wohl ein Vielfaches vorsehen müssen.
Pumpspeicher
Zwei GW für neue Pumpspeicher bedeutet die Verdopplung der existierenden Pumpspeicher. Damit erhebt sich die Frage, ob es dafür den Raum in Österreich gibt.
Eine Studie der JKU geht bei einem Ausbau von 3,6 GW an Pumpspeicherkraftwerken von 4 Mrd. Euro an Kosten aus. Dementsprechend kann man für den zusätzlichen Bedarf von 2 GW von 2 Milliarden Investitionen ausgehen.
Laufwasserkraftwerke und Speicher
Aus statischen Unterlagen geht hervor, dass in Österreich etwa je 50% der installierten Leistung auf Laufwasserkraftwerke und 50% auf Speicherkraftwerke entfallen.
Das Laufwasserkraftwerk Puntigam bei Graz, das 2019 seinen Betrieb aufnahm, hat eine Leistung von 17,7 MW und kostete 80 Millionen Euro. Das sind 4,5 Millionen Euro je installierter MW.
Ganz anders stellt sich die Sache dar, wenn man das Laufwasserkraftwerk Gratkorn betrachtet. Dieses nahm 2024 den Betrieb auf, mit einer Installierten Leistung von 11 MW und hat 100 Millionen Euro gekostet. Das sind 9,1 Millionen Euro je MW.
Der Verbund und Salzburg AG bauen derzeit das Salzachkraftwerk Stegenwald. Das Kraftwerk soll bis Mitte 2025 fertiggestellt werden. Mit einer Leistung von 14,3 Megawatt jährlich soll es 73,8 Gigawattstunden Strom erzeugen. Die angegebenen Investitionskosten von 100 Millionen Euro entsprechen 7 Millionen Euro pro MW.
Um den Energiebedarf zu decken, müssten etwa 110 Kraftwerke an Flüssen wie der Mur oder Salzach errichtet werden. Die dafür anfallende Investitionen kann man mit 12 Milliarden Euro ansetzen.
Hinzu kommen Investitionen für den Bau von Speicherkraftwerken mit einer Leistung von 1,55 GW. Setzt man für sie die Kosten wie für ein Pumpspeicherkraftwerk an, so wären das etwa 1,7 Milliarden Euro.
Windkraftwerke
Für die zusätzlich 11 GW in Windkraftwerken, die bis 2040 vorgesehen sind, müssen etwa 2200 Anlagen mit 5 MW errichtet werden. Das wären das 147 Windkraftwerke pro Jahr. Das entspricht der 3-fachen Menge der für das Jahr 2025 geplanten Anlagen. Hinzu kommt der Neubau von Windkraftwerken, die ihr Laufzeitalter erreicht haben. Eine Mammut-Aufgabe.
R. Obenaus-Emler, Resources Innovation Center, Montanuniversität Leoben, nennt in BHM (2025) Vol. 170 (4), Investitionskosten für Windkraftanlagen von US$ 980-3260/kW. Somit etwa 10 Millionen Euro je 5 MW-Anlage. Das ergibt Gesamtinvestitionen von 22 Milliarden Euro. Hinzu gesellen sich die Kosten für Erneuerungen von Anlagen, die ihre Laufzeit erreicht haben.
Die Kosten für die Entsorgung der Rotoren sollten zu den direkten Investitionen hinzugefügt werden. Was geschieht mit den Rotoren? Bisher ist ein Recyclen nicht hinlänglich geklärt. Und auch über die Entsorgung der Fundamente wird geschwiegen. Es ist kaum anzunehmen, dass man sie als Fundamente für stärkere Turbinen verwenden kann.
PV-Anlagen
Gewaltige Mengen an zusätzlichen PV-Paneelen sind für den geplanten Ausbau bis 2040 nötig. Für die 23,7 GW sind etwa 23.700.000 PV-Paneele oder 1.580.000 jedes Jahr bis 2040 zu installieren. Hinzu kommt der Neubau von bereits bestehenden Anlagen, denn sowohl Windkraft- als auch PV-Anlagen habe eine nützliche Laufzeit von etwa 25 Jahren. Die Investitionskosten für Solaranlagen beträgt 380 -1300US$/kW. (BHM, Fokus Methanpyrolyse, S.204). Basierend darauf kann man die Investitionskosten mit 19 Milliarden Euro ansetzen.
Die Gesamtinvestitionen bis 2040 für alle zusätzlichen Systeme kann man damit mit etwa 74 Milliarden Euro ansetzen. Hinzuzufügen ist, dass ein guter Teil dieser Kosten sich seit der Pandemie drastisch erhöht haben. Man vergleiche die Kosten für das Kraftwerk Puntigam mit jenen von Gratkorn. Eine Berechnung mit gegenwärtigen Kosten würde wohl zu über 100 Milliarden Euro führen, die bis 2040 zu bewältigen wären. Dazu gesellen sich der zusätzliche Ausbau der Netze, deren Kosten von Monat zu Monat variieren.
Umweltschäden
Ein wesentlicher Aspekt dieses "Weiter so" sind die Umweltschäden, die durch verschiedene Aktivitäten verursacht werden. Dazu sind zu zählen der Verbrauch an Land für die Errichtung von Solar- und Windparks, der Übertragungsnetze, Transformatoren und Umspannwerke, und ein unglaublich hoher Bedarf an Rohstoffen, über die Österreich nicht verfügt. Dazu kommt die Versiegelung großer Flächen, wie Zufahrtswege zu Windkraftanlagen, Entholzung großer Waldflächen, "Endlager" für Rotoren und nicht recycelbare Materialien, sowie der Einfluss auf das Mikroklima und Schäden für Insekten und Vögel.
Der Pfad zur Autarkie
Österreich hat mit dem Bau des größten Agri-PV-Windprojekt Europas im burgenländischen Tadten-Wallern begonnen, Wind und Sonne großflächig intensiv zu nützen. Diese Anlage verbindet Landwirtschaft mit Energiegewinnung. 200.000 Solarpaneele, auf einer Fläche von 180 Hektar, sollen 164 Megawatt (peak) Leistung liefern. Dieses Projekt – ein Bürgerbeteiligungsmodell – soll 2025 vollendet wenden.
Im Endausbau entsteht damit nicht nur die größte PV-Anlage Österreichs, die rund 193.000 MWh jährlich erzeugt, sondern auch die größte Agri-PV-Wind-Anlage Europas. Mit dem Bau dieser Anlagen nähert sich das Burgenland 2030 der Klimaneutralität und autarken Energieversorgung, betont Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Weitere Großanlagen sind geplant. Leider ist nichts über die Investitionskosten zu erfahren.
Zu hoffen ist, dass sich Güssing nicht wiederholt. Denn, wie Eric Frey in seinem Blog vom 25. Juli 2013 feststellte, wurde Güssing jahrelang als grünes Vorzeigemodell gehandelt: "Eine Gemeinde, die komplett auf fossile Brennstoffe verzichtete. Doch das war eine Illusion. Die Null-CO2-Emission der Güssinger war nur durch großzügige staatliche Förderungen möglich. Sobald diese versiegten, konnte Güssing nicht weitermachen."
Was sind erkennbare Probleme, die im Plan für Klimaneutralität und Autarkie der Stromversorgung zu klären wären?
Dass die irre Anzahl der zu errichtenden Laufwasserkraftwerke in den nächsten 15 Jahren gebaut werden könnte, ist eher als utopisch zu betrachten. Auch gibt es noch keine erprobten Gasturbinen, die mit hundert Prozent Wasserstoff betrieben werden können. Die hohe Anzahl an Windkraftwerken, die jährlich zu errichten wären, scheint gemäß Erfahrungen ebenfalls mehr als Wunschdenken als der Realität angenähert einzuschätzen sein. Gleiches darf man für den Ausbau der Photovoltaikanlagen annehmen. Es fehlen auch die nötigen Netze, um die Photovoltaik- und Windenergie dem Verbraucher zuzuführen. Dass diese geplanten Anlagen in den nächsten fünfzehn Jahren stehen, ist zu bezweifeln. Hinzu kommen die Kosten. Und, und, und.
Das mit Samtpfoten behandelte Thema des Blackouts in Spanien ist mittlerweile durch den Entso-e-Bericht von RBC Capital Markets, dass Solarparks im Süden Spaniens die wahrscheinlichsten Schuldigen des Blackouts seien, bestätigt worden. (Bloomberg). Wird die Gefahr für Österreich unterschätzt?
Mit dem enormen Zubau von Wind- und Solarkraft ist auch ein Ausbau der Übertragungsnetze erforderlich. Damit werden auch die Stromkosten, unter denen Industrie und Haushalte seit Jahren stöhnen, steigen und zu Abwanderung von Industrien führt, was letztendlich den Wohlstand Österreichs gefährdet.
Für die unglaublichen Summen, die uns in den nächsten 15 Jahren belasten werden, könnte man einen anderen Weg einschlagen. Fünf Kernreaktoren mit einer installierten Leistung von 1400 MW, zu Kosten von 50 Milliarden, wären die Lösung.
Ob die heilige Kuh Ökostrom – koste es was es wolle – geschlachtet werden kann, wage ich zu bezweifeln.
PS: In Belgien hat das Parlament mit großer Mehrheit für ein Ende des Atomausstiegs gestimmt!
Gerhard Kirchner ist Bergingenieur und liebt die Umwelt.