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Sozialdemokratische Selbstreflexion

Sozialdemokratische Selbstreflexion

Der immanente Machtanspruch dringt der SPÖ in Wien nahezu aus allen Poren. Dieses Selbstverständnis ist jedoch problematisch. Trotz des relativen Wahlerfolges mit einem Verlust von nur rund zwei Prozentpunkten scheint im Unbewussten einiges in Bewegung zu geraten. Der rote Anteil in der Wiener Seele, frei assoziiert mit dem Werk von Erwin Ringel "Die österreichische Seele", scheint langsam, aber zunehmend zu verblassen. Wahrscheinlich hat der weltberühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud nicht ohne Grund elementare Erkenntnisse für seine Neurosenlehre aus seiner praktischen Arbeit in Wien gezogen. Selbst der Seelenforscher Ringel beschreibt Österreich als Brutstätte der Neurosen. Er sah den österreichischen Durchschnittsbürger als aggressiven Untertanen, der "nach oben buckelt und nach unten tritt".

Legt man diese Analyse auf die Bundeshauptstadt um, dann wird die SPÖ nur so lange an der Macht bleiben, solange sie genug an Funktionäre und Profiteure zu verteilen hat. Den Beleg für die Manifestation der österreichischen Seele sehen wir im Bund, wo die SPÖ zuerst langsam und dann immer mehr an Einfluss über die Jahrzehnte verlor, weil die Solidarität direkt mit der Vergabe von Vorteilen positiv korreliert. Erkennt die Wiener SPÖ die Zeichen der Zeit nicht, dann droht ihr das Schicksal der Bundespartei. Die sozialdemokratische Vorstellung des Vollkasko-Staates wurde am 1. Mai am Fallbeispiel Wien als Vorzeigestadt klar artikuliert. "Cooling-Elemente" um das "Mikro-Klima" zu verbessern, viel mehr Ärzte-Zentren und noch vieles mehr wurde den Bürgern versprochen – und dies bei einem horrenden Schuldenstand der Stadt. Die Frage, wer das alles finanzieren soll, stellt sich nach der erneut gewonnen Wahl scheinbar nicht mehr.

"Die Internationale" sollten die Vertreter der SPÖ nicht lediglich lieblos und wenig reflektiert echolalieren, sondern den Liedtext ehrlich auf sich selbst bezogen inhaltsinterpretieren. Der kontinuierliche Erosionsprozess ist im Sinne eines "SPÖ hör die Signale" zu deuten. Denn die in der Vergangenheit skandalgebeutelte FPÖ hat nun im urbanen Bereich ohne politische High Potentials ein respektables Ergebnis eingefahren, welches der Jahrhundertbewegung zu denken geben sollte.

Hier reicht kein psychodynamischer Verdrängungs- und Abwehrreflex mit der einfallslosen Reaktion des antifaschistischen Kampfes gegen Rechts. Die Bewegung hat über kurz oder lang ein elementares Identitätsproblem. Politische Inklusion beinhaltet nicht nur einzelne Zielgruppen zu alimentieren, sondern ebenso auf jene zu reagieren und in der Konsequenz zu integrieren, die mit dem Status quo nicht zufrieden sind. Die Bundes-SPÖ war schon einmal in einer Koalition mit der FPÖ. Eine derartige in Wien wäre ein machiavellistischer Schachzug, der ebenfalls im Bund einiges in Bewegung setzen würde. 

 

Daniel Witzeling ist Psychologe, Sozialforscher und Leiter des Humaninstituts Vienna.