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Ein Dreifachblick auf die Welt von Israel, Islam und Europa
Leo Dorner
 

Ein Dreifachblick auf die Welt von Israel, Islam und Europa

Die männlichen Haredim*, um deren generelle Einberufung zum Militär gegenwärtige ein innenpolitischer Streit in Israel züngelt, schaden auch der Wirtschaft des Landes enorm. Nur wenige finden Eingang zu besseren und wichtigeren Jobs. Besser scheint es um die Haredim-Frauen zu stehen, die meistens, so scheint es, beruflich integriert und gewiss auch vielfach Mütter sind. Trotz ihrer Mutterschaften sind sie in der Berufswelt Israels vielseitiger einsetzbar als die männlichen der orthodox-religiösen Jugendlichen.

Moderne Juden in Israel, die erkannt haben, dass Israel mit den barbarischen Sektionen des Islams keine "Zweistaatenlösungen" eingehen kann, sind nun oft im Zweifel. Einerseits sehen sie das Problem: Eine Haredim-Jugend, die Wehrdienstverweigerung auf Lebenszeit in Anspruch nimmt, ist kein "Israel-Signal". Andererseits glauben sie, dass Israel und seine Bürger die traumatische Geschichte der Juden im religiösen (mittelalterlichen) und im säkularen (neuzeitlichen) Europa nur überlebt haben, weil ihre "orthodoxen Gemeinschaften" den Riten des Alten Testaments treu geblieben sind.

("Spiegelverkehrt" denkt auch der Glaube aller Moslems, die ihren Jihad gegen und im Westen mehr oder weniger und vor allem im Vernichtungskampf gegen Israel ausleben. Denn es sei der Westen und dessen "Kolonialprodukt Israel", die den Islam in Bedrängnis und Selbstzweifel geführt haben.)

Das Jugend-Problem ist ein generelles, es betrifft alle Religionen mit unterschiedlicher Wucht. Die religiöse Ausbildung macht für die moderne Berufswelt untauglich, allenfalls nur moralisch tauglich, obwohl selbst daran Zweifel möglich sind, weil der sexuelle Missbrauch unter den Religiösen in Israel nicht "unter Kontrolle" ist und auch in den Amtskirchen des Westens als erkanntes Dauerproblem seit Jahrzehnten grassiert. Wie es damit im Islam stehen mag?

Zugleich droht die moderne Säkularwelt – digital und real – in Dekadenz und Absurdität zu versinken. Also (erwartbarer Trugschluss) könne nur noch die Rückkehr ins Religiöse der Religionen und ihrer "Amtskirchen" die gefährdeten Jugendlichen vor den Anschlägen der tumultuösen Gegenwart retten. Befreiung vom Wehrdienst aus (kuriosen) "Gewissensgründen" wurde bereits durchgesetzt ("Soldaten sind Mörder"), ebenso Abtreibung ("Mein Bauch gehört mir".) Und mit dem Schwung der neuen woken Ideologiewelle, haben sich nun auch die religiösen Sonderwelten der Amtskirchen für die neuen sexuellen Befreiungen geöffnet. Was nun? Wo noch Rettung und Hoffnung?

Im Tanach (also in der jüdischen Version des Alten Testaments), im Koran, in der katholisch oder evangelisch oder griechisch-orthodox zelebrierten Bibel?

Unsere linksgrünen Parteien haben noch einen anderen Weg entdeckt, sie nennen ihn (immer noch) den Weg von Aufklärung und Vernunft, von Wissenschaft und Freiheit. Sie sind entweder ihren studierten Wissenschaften oder Künsten verpflichtet, (äußerst selten denen der Philosophie), oder sie plumpsen reihenweise in die Fallen der neuen Modewissenschaften und -künste und fahren mit dem Sturmwind des Zeitgeistes unter dessen heftig flackernden Schlagworten Richtung offenes Meer.

Sie sehen nicht, dass es sittenwidrig ist, eine neue Mitte einer neuen Demokratie zu verkünden. Sie sehen nicht, dass die neuen Inhalte der woken Bewegungen niemals Grundlage einer neuen vernünftigen Demokratie werden können. Diese neuen Inhalte sind vielleicht tolerierbar und toleranzfähig, aber niemals mehrheitsfähig. Sie können "Influencer" und im Extremfall sogar politische Parteien eine Zeitlang hinter sich herziehen, bis diese eines nicht fernen Tages in Gruppen und Splittergruppen zerfallen.

Werden jedoch ihre "Werte" in Normen gegossen, betritt eine Normenvielfalt die mediale und politische Bühne, die – im Vergleich gesprochen – alle dreifarbigen Verkehrsampeln, die heute noch die Sitten des öffentlichen Verkehrs brav und zuverlässig regeln, durch vielfarbige Ampeln ersetzt. Und nachdem alle Versuche, die neue Normenvielfalt als Alltagspraxis einzugewöhnen, gescheitert sind, rasch zu einem Laissez-faire-Fahren an jeder Straßenkreuzung führen würden. Es sei denn, man stellt der Bevölkerung (schon bei der Führerscheinprüfung) Betreuungsassistenten zur Verfügung, um die neuen "Crashes of Civilizations" zu vermeiden. Ähnlich wie die meisten Menschen schon heute ihren PC ohne professionelle Administratoren nicht mehr als zweckentsprechendes Werkzeug verwenden können.

Als die Vernunft der Philosophie in Europa noch Hoffnung gewährte, in der Mitte des 19. Jahrhunderts und vor dem Ausbruch der beiden ersten Weltkriege, wurde zwischen Sitte(n) und Sittlichkeit noch an der genauen Grenze zwischen Werten und Normen unterschieden. "Sitte" war die praktizierte Sittlichkeit, Sittlichkeit war eine verbindlich begründete und gesetzlich formuliere Moralität, der sich auch die Welt der Religion(en) nicht verweigern konnte, wenn nur die Freiheit des Gewissens als individuelle Sondernorm bestehen blieb. Und nur die Sittlichkeit wurde "aufgeschrieben", die Sitten wurden gelebt.

Heute hat das Wort "sittenwidrig" als sinnloses Wort abgedankt. Es kann in den öffentlichen politischen Arealen der Gegenwart nicht mehr vernünftig verwendet und nicht mehr vernünftig verstanden werden. Dennoch möchten wir auf die Fortschritte der Vernunft seit 1850 keineswegs verzichten und stehen daher als tragische Helden vor einem neuen Tor der Geschichte. Neue oder alte Vernunft?, lautet Hamlets existentielle Frage.

Die selbsternannte neue Mitte der Demokratie ist selbstverständlich überzeugt, dass ihre neuen Werte und deren normativ sein sollenden Prinzipien die Tumulte (und Kriege?) des 21. Jahrhunderts überleben werden. Ihre Ideologie lebt und zehrt von einem Zukunftskredit in grenzenloser Höhe, als wäre die Gründerzeit vom Ende des 19. Jahrhunderts neugewandet im 21. Jahrhundert wiedergekehrt.  Noch im 22. Jahrhundert wird man demnach in den Gräbern der Kelten, Griechen und Römer nach bisher unentdeckten Geschlechtern graben …  

*Haredim, nach Jesaja 66,5: "die ihr erzittert (Hebräisch: Haredim) vor seinem Wort". Bedingt durch Aufklärung und Industrialisierung wandten sich seit dem 19. Jahrhundert immer mehr Juden von ihrer traditionellen Religionsausübung ab. In einer Gegenbewegung schlossen sich fromme Juden zusammen, um alle Lebensbereiche der Thora unterzuordnen und weltliche Einflüsse fernzuhalten. Nur dadurch sei der Untergang des jüdischen Volkes zu verhindern.

 

Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.