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Juro-Demokratie
Leo Dorner
 

Juro-Demokratie

Das aktuelle Problem der normalen (bisherigen) Demokratie, die vom Souverän namens Volk geführt und regiert wird, nun aber vermehrt in eine Juro-Demokratie abdriftet, ist ebenso bekannt wie unlösbar.

Da sich der Souverän (eine Millionen-Schar) nicht selbst persönlich als Regierender betätigten kann und will, muss er die diesbezüglichen Aufgaben (Rechte und Pflichten) an die Repräsentanten seiner "Souveränität" abgeben – an die Parteien seines Parlaments, an die Organe seiner regierenden Ministerien, an die subalternen Verwaltungen in allen Segmenten der "ausdifferenzierten" modernen Kultur und Gesellschaft. Diese Repräsentanten sollen seinen Willen vollziehen.

Da nun dieser Volonté générale ein vielfältig gebrochener sein muss, der sich überdies in permanenter Veränderung befindet, muss er auch an chronischem Stimmbruch leiden und mit einer vielstimmigen Kakophonie zu seinen Repräsentanten sprechen. Schon dieses Vielfaltsproblem führt daher zur Sehnsucht nach weisen Richtern und neuen Politikern, die endlich wieder "alternativlos" entscheiden, regieren, verwalten und bevormunden. Es soll wieder werden wie in der Kirche, wo die Oberen bestimmen, was die Unteren zu tun, zu glauben und zu denken haben. Doch eine Demokratur dieser Art kennt der altgediente Europäer bereits aus seiner eigenen leidvollen Geschichte, und der sagenhafte "deutsche Michel" müsste sie am allergründlichsten kennen. Doch einen alten Fehler zu kennen, bedeutet nicht, denselben in neuem Gewand nicht wiederholen zu müssen.

Diese Tragikomödie, die das heutige Deutschland öffentlich aufführt, ist aber nur eine, es ist die deutsch-historische Seite des Vielfaltsproblems. Alle anderen sind grundlegender und grundstürzender: Denn diese stürzen wie mächtig strömende Kaskaden auf den Kopf des demokratischen Souveräns, spalten seinen Willen und seine Stimme in viele verschiedene, die nach einer gewissen, geduldig ertragenen Dauer und Weile, nichts mehr voneinander wissen (wollen).

Nicht mehr die Idee (einer Vernunft), und nicht mehr das Ideal (einer Kultur und Religion) sorgen nun für "Zusammenhalt", sondern viele Ideologien suchen in den zersprengten Teilen (der disiecta membra) nach verwertbaren Resten, die sie für ihre neuen Ziele umdeuten könnten, um sich beizeiten als neuer Volonté générale zu präsentieren.

Dieser stürmisch bewegte Zustand ist unschwer als mentaler Bürgerkrieg erkennbar, dessen Gefahren man auch dann nicht kleinreden sollte, wenn man meint, die eigene Blase werde sich schon bald als mächtigste Seifenblase entfalten, oder die eigene Religion sei vor aller Kriegsgefahr schon durch den Adel ihrer Geburt gesichert.

 

Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.