
Spinoza über Religion und Staat
Um die Religions-Streitigkeiten im Staat ein für alle Mal zu beenden, empfahl der Frühaufklärer Spinoza die Kandare des Staates und seines politischen Regiments. (Sie hätte auch im antiken und vorantiken Israel geholfen und sie werde auch im Europa des damaligen "Abendlandes" helfen.) Der Einfluss der Religion auf den Staat sei stets verhängnisvoll, denn er führt zur "Zerteilung der Staatsgewalt". Wofür auch das römische Reich unter Kaiser Theodosius einen anschaulichen Beweis liefere.
Auch weil sich Spinoza auf die "Feinheiten" im Verhältnis von kirchlicher und kaiserlicher Macht, (nicht nur) im frühen christlichen Europa nicht einließ, blieb sein theologisch-politischer Traktat "holzschnittartig", um das Mindeste zu sagen.
Spinoza verkennt, dass der "Zerteilung der Staatsgewalt" im römischen Reich eine religiöse Teilung der christlichen Kirche im ganzen Reich vorausgegangenen und immer noch aktuell war. Ein Schisma, das allerdings auch in die Politik und das Alltagsleben des Staates gravierend eingriff, weil das ganze Reich vom "Heidentum Roms" in das kirchlich verwaltete und doch schismatische Christentum des neuen Roms wechselte.
Der Kampf zwischen Arianismus und Athanasianern: (Es ist ein Gott - contra: Es ist ein Dreieiniger Gott) war noch nicht zu Ende ausgefochten, die katholische Lösung hatte sich noch nicht durchgesetzt, – die Arianer waren noch nicht "ausgerottet". Nachdem aber Theodosius ein überzeugter Anhänger der katholischen Lösung geworden war, wurde er von Ambrosius wieder angenommen und in seiner Grabrede auf den plötzlich Verstorbenen als allerchristlichster Kaiser tituliert.
Die meisten christlichen Kaiser waren anfangs eher dem Arianismus zugeneigt gewesen. Trinitarische Spekulationen der Theologen waren ihre Sache nicht. Also machten sie sich als Häretiker schuldig, (verkündeten die noch machthabenden Athanasianer in den Kirchen) und diese zu verfolgen, hatte Ambrosius den ihm anvertrauten Kaiser-Schützling Theodosius gemahnt.
Erst mit dem Edikt von 380 (Cunctos populos) war alles klar. Die Bibelverse des Apostel Petrus waren nur im Geist des nizänischen Glaubensbekenntnisses richtig und wahrheitsgemäß zu verstehen. Die "heilige Dreifaltigkeit" wurde Staatsreligion. Jede der drei "Falten" mit "gleicher Majestät". 313 hatte Konstantins Staatchristentum den gefährlichen schismatischen Stolperstein noch ignoriert oder nicht bemerkt.
Bereits eine kirchen- und weltgeschichtliche Stunde später folgte das nächste Novum: Nun strebte auch die Kirche Christi nach eigenständiger und realpolitischer Staatsmacht. Ein päpstlich regierter Kirchenstaat beteiligte sich an unzähligen Kriegen und "Gebietserweiterungen", oft mittels Bündnissen mit anderen Stadtstaaten im mittelalterlichen Italien.
Damals noch ganz ohne Bedrohung aus dem "lutherischen Norden" und nur durch wenige Angriffe der "Sarazenen" aus dem Süden" belästigt. Und der neue Staat der Kardinäle und Päpste sowie der einander beäugenden oder auch bekämpfenden Orden (jeder bedurfte eines "Nil obstat" vom "Heiligen Stuhl") hatte auf den ersten Blick nicht einmal eine Spur von Ähnlichkeit mit dem Rom der römischen Kaiser aufzuweisen.
Die Geschichte sagt: Sage niemals "Ein für alle Mal" – Die Religionen sagen: "Unser ,Ein für alle Mal`gilt für alle Menschen und Zeiten."
Kant und Folgendes
Als Kant 1781 erklärte, er habe mit seiner "Kritik der reinen Vernunft" für immer ("ein für alle Mal") für alles künftige Philosophieren die Schranke von Vernunft und Metaphysik festgelegt, hätte er eine umfassend organisierte Kirche von Kantianern benötigt, um seine Philosophie gegen Zuwiderhandelnde als einzig wahre Philosophie durchzusetzen. Kaum war sein Gründer-Buch, (es sollte "Epoche machen"), in der Welt (nicht nur der Philosophen), regten sich bereits die ersten Stimmen neuer ("idealistischer") Spinozisten, die die Gründung der nächsten endgültigen Vernunftphilosophie und Metaphysik ins Visier nahmen.
Gilt in den Religionen und deren Kirchen: "So viele können nicht irren" – gilt in der Geschichte der Philosophie: Deren vereinzelte Philosophen irren immer, wenn auch ihr Irrtum erst später aufgedeckt wird. Der verlockende Umkehrschluss: Also denken und handeln nur die "Kirchen" der Religionen unfehlbar richtig und wahr, führt dann zur nächsten Katastrophe in der Geschichte der Menschheit.
Noch einen tragischen Punkt hatte Spinoza nicht vorhergesehen. Neue Wissenschaften entstanden, die gern in politische Ideologien ausarteten und das langlebige Abendland in reale Weltkriege und viele Weltanschauungskriege stürzten. Ideologien, die sich leidenschaftlich gern als alleinseligmachende Wahrheiten verkündeten, um als politische Massen-Bewegungen auf die Menschheit loszuwirken.
Heute wirken alle nach freiem Belieben aufeinander ein: altgewordene und neufrisierte Religionen, alte und neue Wissenschaften sowie alte und neue Ideologien. Und dass wir den Kampf zwischen den alten und neuen Künsten nicht einmal erwähnt haben, muss sich auf vernünftige Gründe zurückführen lassen.
Leo Dorner ist ein österreichischer Philosoph.