Österreich-Konvent: 20 versäumte Jahre
2003 wurde von der Regierung Schüssel ein Österreich-Konvent ins Leben gerufen, mit dem Ziel "Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform auszuarbeiten", um "eine zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen". Man beachte das Wort "kostengünstig"! In dem 2005 vorgelegten Bericht wurde unter anderem vorgeschlagen, die besonders komplexen Bereiche Gesundheit und Bildungswesen beim Bund zu zentralisieren. Dieses Thema ist aber in den letzten 20 Jahren ebenso wenig ernsthaft angegangen worden wie weitere zentrale Punkte – wie etwa Föderalismus, Finanzen, Pensionen und Pflege.
Inzwischen brennt der Hut. Die Staatsschulden steigen ungebremst weiter, da keine ernsthaften Strukturreformen angegangen werden, wie der Fiskalrat anmerkt, der insbesondere eine neue Struktur des gesamten Finanzausgleichs fordert. Denn ohne Strukturreformen werde man "diesen teuflischen Selbststeigerungsmechanismus bei den Ausgaben nicht in den Griff bekommen", meinte der Chef des Fiskalrates, Christoph Badelt neulich. Diese sind aber weit und breit nicht zu erkennen. Die Regierung verliert sich in Nebenthemen und ist mit dem Tagesgeschäft ausgelastet. Für eine Beschäftigung mit fundamentalen Fragen fehlt jede Bereitschaft. Derweilen blamieren wir uns in Brüssel, weil wir schon wieder neue verschlechterte Defizitzahlen zu melden haben. Diesmal weil einige Länder – allen voran Wien – ihre Defizite massiv gesteigert haben.
Österreich als eines der reichsten Industrieländer der Welt hat ein massives Ausgabenproblem. Die Politik kommt seit Jahren mit den reichlich sprudelnden Einnahmen nicht aus. Zu groß ist die Versuchung, partikuläre Interessen zu befriedigen und generell den Wähler nicht zu verärgern. Das führt zu einer Staatsquote von 56 Prozent, womit wir in Europa ganz vorne mit dabei sind – wahrlich kein Ruhmesblatt.
Und auch der aktuelle Bericht der "Statistik Austria", dass 2040 voraussichtlich mehr als jede vierte Person 65 Jahre oder älter sein wird, müsste jedem verantwortungsvollen Politiker den Angstschweiß ins Gesicht treiben. Aber gibt es die in Österreich? Seit Jahren wird das Thema Pensionsreform hin und hergeschoben. Experten machen gescheite Analysen und konkrete Vorschläge, aber kein Politiker wagt, dieses Tabuthema anzusprechen. Keiner will die nächste Wahl verlieren, und weiter reicht der politische Horizont wohl leider nicht.
Auch beim Megathema Gesundheit/Pflege sind die Baustellen bekannt, aber Diskussionen versanden im kleinteiligen Hick-Hack, ob und inwieweit Patienten auch außerhalb ihres Heimat-Bundeslandes entsprechende medizinische Versorgung erwarten dürfen. Die Milliarden, die im komplexen Dschungel der Kompetenzen versickern, sind Gesundheitsökonomen wohlbekannt. Aber wer traut sich, das Thema an der Wurzel zu packen?
Dazu kam jüngst ein höchst bemerkenswerter Vorstoß aus einem Bundesland. Die Salzburger Landeshauptfrau Karoline Edtstadler schlug vor, den gesamten Gesundheitsbereich beim Bund anzusiedeln und dafür die Bildungsagenden bei den Ländern zu konzentrieren. Und darauf gab es nicht nur die erwartbare, reflexhafte Ablehnung – insbesondere vom Land Wien –, sondern etwa auch Gesprächsbereitschaft von Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer, der sich auch "größere Reformverschiebungen" vorstellen kann, wie er in der "Presse" sagte. Das wäre – notabene – auch ein Zukunftsthema, mit dem der Landeshauptmann, der 2027 eine Landtagswahl zu schlagen hat, Profil gewinnen könnte.
Seitdem hat man von dem Thema allerdings nichts mehr gehört.
Man muss keine Arbeitskreise oder Kommissionen einsetzen, um die Punkte zu definieren, die vordringlich zu adressieren wären. Qualitätvolle Analysen, Daten und Vorschläge liegen seit Jahren auf dem Tisch. Die Schwachstelle ist das politische Personal in einer Dreierkoalition, wo sich regelmäßig mindestens ein Bremser findet.
Dr. Herbert Kaspar ist Publizist und Kommunikationsexperte und hatte lange wichtige Funktionen im Österreichischen Cartellverband inne.
